Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
würde sie nie mehr aufwachen. »Komm schon, Renn!« Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Wach auf!«
»Lass mich«, schimpfte sie. »Mir geht’s gut.«
Aber das stimmte nicht. Ihr Gesicht war vom Eishagel fleckig und rot, die Augen waren fast zugeschwollen. Die Finger der rechten Hand waren steif und wächsern und erinnerten Torak beunruhigend an die des Toten vom Rotwildclan.
Torak hackte weiter und fragte sich, wie lange Renn noch durchgehalten hätte, hätte Wolf sie nicht in ihrer Höhle entdeckt. Torak war am Ende seiner Kraft und hätte keine neue Höhle mehr ausheben können.
Von ihnen dreien hielt sich Wolf noch am besten. Sein Fell war so dick, dass der Schnee darauf nicht schmolz. Er brauchte sich nur kräftig zu schütteln und ein Schneeschauer stäubte auf sie herab.
Als die Höhle endlich groß genug war, konnte sich Torak kaum noch auf den Beinen halten. Er mauerte den Eingang wieder zu, wobei er nur ganz oben eine Lücke ließ, um den Rauch des Feuers, das er sich als Lohn für seine Mühe versprochen hatte, hinauszulassen. Dann kniete er sich neben Renn und schaffte es nach mehreren Versuchen, ihren Schlafsack unter ihr hervorzuziehen. »Kriech rein«, befahl er.
Sie strampelte den Schlafsack weg.
Er scharrte mit den steif gefrorenen Fäusten Schnee zusammen und rieb ihr damit Gesicht und Hände ein.
»Aua!«, jaulte sie.
»Wach auf oder ich bring dich um!«
»Du bist schon dabei«, fauchte sie.
Da Torak wusste, dass er bald Feuer machen musste, rieb er auch seine eigenen Hände mit Schnee ab und steckte sie unter die Achseln. Mit dem Gefühl kehrte auch der Schmerz zurück. »Aua«, jammerte er. »Autsch, autsch, tut das weh!«
»Was hast du gesagt?« Renn setzte sich auf und stieß sich den Kopf an der Decke.
»Nichts.«
»Doch. Du hast Selbstgespräche geführt.«
»Ich habe Selbstgespräche geführt? Du hast mit deiner ganzen Sippe geplaudert!«
»Gar nicht wahr!« Sie war entrüstet.
»Doch«, gab er grinsend zurück. Wenigstens war sie wach. Noch nie hatte er sich so gefreut, mit jemandem zu streiten.
Irgendwie gelang es ihnen schließlich, ein Feuer zu entfachen. Feuer braucht nicht nur Luft, sondern auch trockenes Brennmaterial, deshalb schichteten sie aus einem Teil ihres Feuerholzes einen kleinen Hügel auf, damit der Rest nicht nass wurde. Diesmal fummelte Torak nicht lange mit dem Flammenstein herum, sondern entsann sich des Zunders in seiner Rückentrage. Erst wollte das Feuer in der Birkenrindenrolle nicht aufwachen, obwohl Torak aufmunternd hineinblies und Renn kleine Stückchen Zunder hineinbröselte, die sie in der Hand vorgewärmt hatte. Doch schließlich wurden ihre Bemühungen mit einer kleinen, aber belebenden Flamme belohnt.
Mit tropfenden Haaren und klappernden Zähnen beugten sie sich darüber und stöhnten, als ihre Hände auftauten und ihre Gesichter schmerzhaft stachen. Doch das Feuer wärmte sie nicht nur, es tröstete sie auch. Jede Nacht ihres Lebens waren sie beim knisternden Prasseln und dem süßlich herben Geruch von brennendem Holz eingeschlafen. Das Feuer war ein kleines Stück vom Großen Wald.
Torak kramte seine letzte Rolle Räucherfleisch hervor und teilte sie unter ihnen dreien auf. Renn reichte ihm den Wassersack. Torak hatte gar nicht gemerkt, dass er Durst hatte, doch nach einem tiefen Zug spürte er seine Kräfte zurückkehren.
»Wie hast du mich eigentlich gefunden?«, wollte Renn wissen.
»Das war nicht ich, sondern Wolf. Ich weiß auch nicht, wie er das geschafft hat.«
Sie überlegte. »Ich schon!« Sie hielt die Knochenpfeife hoch.
Torak stellte sich vor, wie Renn im Dunkeln in die stumme Pfeife geblasen hatte, und überlegte, wie sie sich so ganz allein gefühlt haben mochte. Er hatte wenigstens noch Wolf bei sich gehabt.
Er erzählte ihr von dem Toten und dass er den dritten Bestandteil der Nanuak gefunden hatte. Den schrecklichen Augenblick, als er erwogen hatte, Renn zugunsten der Nanuak im Stich zu lassen, verschwieg er allerdings. Es war ihm zu peinlich.
»Eine Steinlampe«, murmelte Renn versonnen. »Darauf wäre ich nie gekommen.«
»Willst du sie mal sehen?«
Sie schüttelte den Kopf. Erst nach einer Weile sagte sie: »Ich an deiner Stelle hätte es mir zweimal überlegt, die Schneehöhle wieder zu verlassen. Damit hast du die Nanuak aufs Spiel gesetzt.«
Torak schwieg, dann erwiderte er: »Ich habe lange hin und her überlegt. Ich habe auch erwogen, da zu bleiben und dich nicht zu suchen.«
Sie
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