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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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könnte in der Klinik wohnen, in einem Gästezimmer, eine
Schwester hat es mir angeboten, aber ich habe mir ein Zimmer an der Hauptstraße
genommen, in dein Haus möchte ich nicht, in die Klinik möchte ich nicht, in
mein Haus möchte ich, wo der Richtige auf die Kinder aufpasst, die lange, wirre
Geschichten ins Telefon krähen und dann auflegen, ohne sich zu verabschieden.
    Im Besuchen bist du schlecht, lässt dich drängen und bitten, komm
mich doch besuchen, du kannst immer und jederzeit kommen, das weißt du doch.
Seit Papa tot ist, müsstest du mich erst recht besuchen wollen. Ich will, dass
du kommst, aber noch dringender will ich, dass du kommen willst.
    â€“ Willst du nicht, oder warum kommst du so selten.
    â€“ Na, ich habe eben mein eigenes Leben, sagst du, ich habe genug
Arbeit, gerade eine neue Übersetzung, und das Haus in Ordnung halten, die
Blätter rechen, Ameisen auch wieder im Keller, früher hat Papa das gemacht,
jetzt: alles ich. Ich will doch nicht dauernd bei dir herumspuken und dir in
den Ohren liegen und dir die Bude vollqualmen.
    â€“ Du kannst ja draußen rauchen, sage ich.
    â€“ Siehst du.
    â€“ Nein, ich meine, es ist mir egal, ob du rauchst oder nicht, aber
es wäre schön, dich öfter dazuhaben, es würde mir helfen, andere Mütter, Omas
machen das auch.
    â€“ Es ist so wenig Platz bei euch, ich bin das große Haus gewöhnt.
    â€“ Ich denke, du hast früher viel weniger Platz gehabt, wir finden
schon Platz für dich, oder du gehst ins Hotel.
    â€“ Also, jetzt aber mal ein bisschen Maß halten, das Leben ist kein
Urlaub, wohin fahrt ihr übrigens in Urlaub.
    â€“ Mama, darum geht es nicht.
    â€“ Ich bin keine arme Witwe, ich habe zu tun, Schätzchen.
    Dein heiliger Mittagsschlaf, den ich jetzt verstehen kann: nichts
besser als eine Viertelstunde auf dem Sofa nach dem Essen, Kaffeegeschmack noch
im Mund, Kinder spielen leise, wenn sie es tun. Manchmal tun sie es nicht,
zupfen an mir herum.
    â€“ Wie lange willst du schlafen.
    â€“ Zehn Minuten, ich stell einen Wecker.
    â€“ Nein, mach das nicht, ich weiß, wie lange
zehn Minuten sind.
    â€“ Aber wenn du schläfst, weißt du es nicht.
    â€“ Lass mich einfach.
    â€“ Aber jetzt sind schon zwei Minuten rum.
    â€“ Die zählen nicht, du lässt mich ja nicht schlafen.
    Mein Mittagsschlaf ist heilig so wie deiner, der sogar noch kürzer
war: Einen Küchenwecker hast du gestellt auf sieben Minuten. Da kann keiner was
sagen: sieben Minuten aus der Welt, so lange wird sie sich ja wohl alleine
weiterdrehen. Aber nicht ich.
    Du lagst eingerollt auf dem Sofa, ich dir schräg gegenüber auf dem
Sessel, starrte dich an. Du öffnest die Augen, der Küchenwecker tickt schon.
    â€“ Kannst du mal woanders hingehen.
    â€“ Ich habe keine Hausaufgaben.
    â€“ Ist doch egal, geh mal woandershin, ich muss kurz schlafen.
    â€“ Warum bist du denn müde.
    Du antwortest nicht, drehst dich zur anderen Seite.
    â€“ Warum sagst du nichts, Mama, sag mal was, oder bist du zu faul zum
Sprechen, Mama, weißt du was, du bist ganz schön faul auf deinem Sofa.
    Da schießt du in die Höhe, diesmal reichen die Worte nicht: Schneller,
als ich es gedacht hätte, bist du bei mir und hast mir eine geknallt. Das ist
noch nie passiert und passiert danach nie wieder, es hat gar nicht wehgetan,
und das rufe ich auch gleich.
    Laut und triumphierend schreie ich: Das hat gar nicht wehgetan, gar nicht.
    Und renne weg und heule erst draußen, obwohl die Backe immer noch
nicht brennt, wahrscheinlich hast du mich noch nicht mal richtig getroffen.
    Â»Abitur«, murmelt der Onkel Hermann und kneift die Augen
abschätzig zu Schlitzen, »und wozu soll das gut sein für ein junges Mädchen.« Annie lehnt am Fenster, sie hat ihm die Reste der Reste
gebracht, die Mutter von den kalten Platten kratzt: Jedes Häppchen beschnuppert
er einzeln, runzelt misstrauisch die Stirn, zwischendurch erteilt er Annie
Ratschläge, wie sie ihr Leben führen soll. Die Eier sind über Nacht bläulich
geworden, der Lachs ist angetrocknet, Käsewürfel weich wie Butter: gut für den
Onkel Hermann, der alles, ohne viel zu kauen, herunterschlingt und findet,
Annie solle ins Geschäft einsteigen. »In welches denn«, fragt Annie. »Darauf
kommt es doch nicht an«, sagt der Onkel Hermann gereizt, »du musst eben
ordentlich ran, dann wirft es was ab, du

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