Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
war nur noch ein Schatten seiner selbst, nervös und jähzornig, auch wenn er mir gegenüber nie die Beherrschung verlor. Trotz allem schien er entschlossener denn je, dieses Jahr hinter sich zu bringen, seine Ergebenheit unter Beweis zu stellen und dann wieder alleinige Herrschaft über seine Festung zu erhalten. Er würde es durchstehen, sagte er, und wenn es das Letzte wäre, was er täte.
Ich konnte nur hoffen, dass diese Redensart nicht Wirklichkeit werden würde.
„Wann ist das passiert?“, fragte Angus eines Abends mit leiser Stimme.
Kate hatte uns drei von unserem Schwerttraining in der großen Halle zu sich beordert. Ich hatte das Gefühl, wir kamen zu spät, denn die anderen Räume und Gänge waren längst wie ausgestorben. Das war allerdings nicht unsere Schul d – wir waren als Letzte informiert worden. Conal und Angus schritten voran, ich mit den Wölfen hinterher.
Ich spitzte die Ohren. Angus’ sonst so unbeschwerte Art vertrug sich ganz und gar nicht mit der bitteren Note, die in seinem Tonfall lag.
„Wann ist was passiert?“, fragte Conal zurück.
„Wann haben wir so viel von unserer Unabhängigkeit eingebüßt? Wann genau sind die Clanshauptleute zu Handlangern degradiert geworden?“
„Vorsicht“, sagte Conal, aber in seiner Stimme klang ein leises Lachen mit, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Das machte mir Mut. Nachdem er mich zusammengeschlagen hatte, war er in ein schwarzes Loch gefallen. Unterdessen waren meine blauen Flecken verschwunden, meine Wunden verheilt, meine Rippen wieder zusammengewachsen, hatte mein Gesicht nach und nach wieder normale Züge angenommen. Oder was man hier als normal bezeichnen konnte. Denn in unseren Gesichtern lag der Ausdruck tiefen Misstrauens und unverhohlener Feindseligkeit, der sich wohl für immer eingebrannt hatte.
Als wir um die Ecke bogen und die große Halle betraten, sahen wir, dass wir auch allen Grund dazu hatten, misstrauisch zu sein.
Ich kraulte Branndair gerade hinter dem Ohr, als ich Angus plötzlich laut fluchen hörte. Ich war abgelenkt, da Branndair genießerisch den Kopf gedreht hatte und nach meinen Fingern schnappte, und so prallte ich von hinten gegen Angus, was uns beide fast zu Fall brachte.
Rasch fand ich mein Gleichgewicht wieder und zog mein Schwert zur selben Zeit wie Conal und Angus. Das Klirren der Klingen hallte durch den stillen Raum. Branndair stellte unter meiner Hand die Nackenhaare auf und Liath gab ein leises Knurren von sich. Branndair wich zurück und knurrte ängstlich. Kate erhob sich von ihrem Podest und kam mit ausgestreckten Armen auf uns zu. Das Wesen an ihrer Seite grinste genauso breit wie Kate. Es stand für meinen Geschmack viel zu nah bei meiner Mutte r – sein Ellbogen berührte den ihre n –, aber Lilith schien darüber nicht entsetzt, sondern entzückt zu sein. Das Wesen trug weder Schuhe noch Hemd und war so ausgezehrt, dass es fast durchscheinend wirkte. Sein Mantel umspielte seine Knöchel, die Hose war fest um die Taille gezurrt, die aussah wie ein einziger dürrer Muskelstrang. Es hatte strähniges Haar und pergamentartige Haut, die sich über einen eingefallenen Schädel spannte. Sein Mund war zu einem Grinsen erstarrt.
„Meine Herren!“, empfing uns Kate. „Wenn ihr bitte eure Schwerter wieder einstecken würdet.“
Conal und Angus waren vollkommen perplex. Conals Klinge zitterte in seiner Hand, bis er sich zusammenriss und fester zupackte.
„Das ist ein Lammyr!“ , rief er fassungslos.
„Das ist mein Gast .“
Ich hatte gelernt, dass man auf der Hut sein musste, wenn Kate sich so liebreizend gab. „Cona l …“, raunte ich ihm zu.
„Da ist ein ganzes verdammtes Lammyr- Regiment!“ Angus versagte fast die Stimme.
Tatsächlich. Sie standen an der linken Seite der Halle aufgereiht und ihre gelbliche Haut war in unheimliches Fackellicht getaucht. Selbst die tapfersten unter Kates Kriegern hatten sich bis an die äußerste Höhlenwand zurückgezogen. Ich erblickte Fergus, der die Augen weit aufgerissen und seinen Rücken so hart gegen den Fels gepresst hatte, dass es wehtun musste. Geschah ihm recht.
Ich hielt nach unseren Leuten Ausschau. Fox stand mit Eili, Sinead und Luthais auf der anderen Seite der Halle. Fox starrte mich unverwandt an, während die anderen drei ihre Blicke nicht von der Lammyr-Armee abwenden konnten. Daneben standen Caola, Ranald und Fraser und etwas abseits Craig und Ryan. All unsere Kämpfer hatten sich also auf der linken Seite versammel t –
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