Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
spürte eisige Stille. Aber ich fühlte noch etwas, etwas, was in der steinernen Dunkelheit vor sich hin zitterte. Ich tastete vorsichtig mit meinen Gedanken danac h – und erntete ein Knurren.
Mühsam robbte ich rückwärts aus dem Spalt. Conal zog mich das letzte Stück an den Knöcheln heraus. Kaum war ich wieder draußen, schüttelte ich die Schattenkälte von mir ab.
„Autsch!“, sagte ich und rieb mir die aufgeschürften Ellbogen. „Irgendwas ist da, aber es muss noch einen anderen Eingang geben. Durch das Loch würde nicht mal eine Echse passen.“
Wir mussten lange suchen, bis wir schließlich einen schmalen, von den Felsen gut verborgenen Spalt fanden, der in einen engen Tunnel führte. Selbst bei meiner Größe musste ich mich drehen und winden, um hineinzupassen. Conal war zu groß dafür und musste vor dem Loch warten. Hinter einer Biegung im Tunnel konnte ich allerdings fast aufrecht stehen. Ich war in einer riesigen Höhle gelandet. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das schummerige Dämmerlicht, das durch mehrere schmale Felsscharten hereinsickerte.
Vier Lichtpunkte starrten mich an. Ihre Besitzer hatten sich unter einen Felsvorsprung geflüchtet und einer von ihnen knurrte wieder. Es roch nach Tod. Auf dem kahlen Höhlenboden lagen mehrere leblose Bündel aus Fell und Fleisc h – erstaunlich unversehrte Kadaver. Vermutlich hatten die beiden Überlebenden aus lauter Verzweiflung ihre Geschwister angenagt, ohne dabei viel auszurichten. Sie waren noch viel zu jung dafür. Sie brauchten dringend Muttermilch. Aber die würden sie ganz sicher nicht mehr bekommen.
Was siehst du? , fragte Conal.
Wolfsjunge.
Dachte ich mir.
Ich legte mich flach auf den Boden und sah eines der verwaisten Jungtiere an. Kleiner Erdensohn , versuchte ich ihn zu besänftigen. Kleiner Wolfssohn.
Knurren.
Kleine Erdentochte r – es tut mir so leid.
Sie bleckte ihre winzigen Milchzähne, als ich mich ihr langsam näherte.
Knurren.
Mit einem Seufzen rollte ich mich auf den Rücken, legte den Kopf weit in den Nacken und setzte mein freundlichstes Lächeln auf. Mir war oft gesagt worden, mein Lächeln erinnere an ein Wolfsgrinsen.
Die kleine Wolfshündin kroch auf mich zu und schnüffelte an meinem Gesicht. Ich konnte jetzt erkennen, dass sie ein sehr helles Fell hatte. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, ein Zeichen ihrer starken Abmagerung. Unter dem Fell konnte ich ihre Rippen fühlen.
Erdentochter , sagte ich mit fester Stimme. Ich habe heute schon jemanden sterben sehen. Komm mit mir.
Sie ließ zu, dass ich ihren ausgemergelten Körper in beide Hände nahm und mich dann hinkniete. Sie zitterte und ihr Herz schlug wie wild, aber sie leistete keinerlei Gegenwehr, auch nicht auf dem Weg aus der Höhle hinaus und bei meinen unbeholfenen Versuchen, sie durch den engen Tunnel zu schieben. Als sie endlich sicher in Conals Händen ruhte, kroch ich zurück, um das andere Junge zu holen.
Ich dachte, ich würde ein zweites helles Fellbündel finden, doch ich musste im kargen Dämmerlicht der Höhle länger suchen als erwartet. Schließlich fand ich ein Junges mit tiefschwarzem Fell, das mich aus hoffnungslosen Augen anstarrte. Ich ging auf die Knie, schob meine Hand unter den Körper des kleinen Wolfs und zog ihn sacht aus seinem Versteck hervor. Es kostete mich keinerlei Überzeugungsarbeit, er war ohnehin viel zu schwach, um sich zu wehren.
Hast du den anderen? , fragte Conal.
Er wird das nicht überleben. Gib mir eine Minute.
Ich legte das Junge in meinen Schoß. Es versuchte sich zu erheben, kippte aber wieder zur Seite. „Ruhig“, sagte ich und massierte seine knochige Stirn sacht mit dem Daumen, während ich leise mein Jagdmesser zog. „Ganz ruhig, kleiner Erdensohn.“
Seine trüben Augen folgten der Klinge, als ich ihre Schärfe an meinem anderen Daumen überprüfte. Da schreckte das Tier zurück und wand sich in meinem Schoß. Der silberne Schein der Messerklinge blitzte in seinen Augen auf und füllte sie für einen winzigen Augenblick mit Leben.
Und dann bohrte er seine kleinen Zähne in meinen Daumen.
„Auuuu!“, schrie ich auf und ließ das Messer fallen, um es nicht instinktiv zu benutzen.
„Was ist los?“, rief Conal.
Ich antwortete nicht, sondern griff nach dem Messer und steckte es zurück in die Scheide. Der kleine schwarze Teufel zitterte vor meinen Knien, wo er hingefallen war, und starrte mich mit letzter Kraft an, mit einem drohenden Blick, der sagte: „Wage es ja
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