Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
nicht!“
Ich wagte es doc h – zumindest ihn anzufasse n – und hob ihn vom Boden auf. Mit einer Hand umfasste ich vorsichtig seinen Hals, um seinen Kopf von mir fernzuhalten, mit der anderen presste ich ihn an mich und kroch aus der Todeshöhle. Conal streckte mir seine Hand entgegen, aber ich winkte ab. „Schon gut“, sagte ich und krabbelte mit dem Wolfsjungen hinaus.
„Sind das alle?“, fragte er.
„Die anderen sind tot“, sagte ich. „Keine Mutter weit und breit.“
„Wahrscheinlich auch tot.“ Er drückte das Wolfsjunge mit dem hellen Fell an seine Brust und reichte mir seine freie Hand. Diesmal ergriff ich sie dankbar und ließ mich, vom grellen Tageslicht geblendet, auf die Beine ziehen.
Als Conal meine Hand losließ, war sie genauso blutverschmiert wie meine. Er legte die Stirn in Falten.
„Er wird es schaffen“, sagte ich kurz, „der kleine Wurm.“
Conal lachte.
„Ich würde gerne die Wolfsmutter finden“, sagte er.
„Warum?“
„Sie war kein Wolf aus der Anderwelt. Schau.“ Er drehte das magere Tier zu mir herum. Es blinzelte und kniff die Augen zusammen, aber tief in ihrer Trübung war ein Funken silbriges Licht auszumachen.
Ich hatte bisher noch nie über dieses Leuchten nachgedacht. Conal hatte es in seinen Augen, genauso wie ich und jeder andere Sithe. Nur Vollsterbliche hatten es nicht. Manchmal musste man zweimal hinsehen, weil man dachte, man hätte es für einen kurzen Moment in ihren Augen entdeckt. Doch dann stellte man fest, dass es nur eine Lichtspiegelung gewesen war. Die Augen eines Sithe hingegen leuchteten aus sich selbst heraus.
„Der Müller hat letzte Woche einen Wolfshundkopf abgeliefert. Es war eine Belohnung darauf ausgesetzt“, sagte ich. „Wahrscheinlich hat er danach noch nach der dazugehörigen Wölfin gesucht.“
„Und sie gefunden“, sagte Conal. „Aber die Wolfshöhle hat er anscheinend nicht entdeckt.“
„Ich will ja nicht schon wieder fluchen, aber unseren Ruf werden wir mit den beiden hier eher nicht aufpolieren, was?“
Der kleine Wolf in Conals Arm schaffte es, ihm über die Nase zu lecken. Conal grinste. „Dann sollten wir sie lieber versteckt halten“, sagte er. „Unsere Haustiere .“
Er taufte seine Wölfin auf den Namen Liath, was so viel hieß wie „grau“, wegen ihres hellgrauen Fells. Ich gab meinem Wolfsjungen viele Namen, darunter ein paar sehr besondere , wenn er mich mal wieder biss. Was nicht selten vorkam.
„Dumme Töle“, schnauzte ich ihn an. „Verdammter Wadenbeißer!“ Aber so war ich nun mal. Und ich lernte zurückzubeißen.
Der Name, den er schließlich behielt, war Branndai r – Eisen. Ohne seine Zähigkeit hätte er nie überlebt, und lange Zeit war ich mir nicht sicher, ob er auch tatsächlich durchkommen würde. Aber die beiden Welpen gewöhnten sich schnell an Kuhmilch und Taubenfleisch. Langsam kamen sie zu Kräften und nahmen zu. Irgendwann gab Branndair die wilde Beißerei schließlich auf und begann sich des Nachts zu mir auf die Lagerstatt zu legen, wo er sich in meinem Arm knurrend und winselnd seinen süßen Träumen hingab.
Er wuchs mir schnell ans Herz. Und mit jedem neuen Wesen, das mein Herz eroberte, wuchs meine Angst.
14. Kapitel
A gnes Sampson“, nannte Conal als Stichwort. „Agnes Sampson und Jako b VI.“
Branndair stolperte über meinen Fuß, also schnappte ich ihn mit einer Hand und setzte ihn dort ab, wohin er hatte laufen wollen. Solange wir zu Hause waren, konnten wir die Welpen frei herumlaufen lassen, nur wenn wir fortgingen, versteckten wir sie in einem verlassenen Dachsbau auf halber Höhe des Hügels. Als Sithe-Wölfe lernten sie schnell, still und klaglos auszuharren, schneller noch, als nicht mehr in unsere Räucherhütte zu pinkeln. Vorsichtshalber bedeckten wir den Dachsbau aber zusätzlich mit Steinen und Äste n – man konnte nie wissen.
In einer dunklen Ecke pirschte sich Branndair als noch dunklerer Schatten an das alte, verknotete Stück Seil heran, das ich ihm zum Spielen gegeben hatte. Liath thronte derweil erhaben auf Conals Schoß und tat so, als schliefe sie. Während Conal ihr den Bauch kraulte, fuhr er mit seiner Unterrichtsstunde fort, um die ich ihn nicht gebeten hatte.
„Jako b VI., Murlainn. Und wer war seine Mutter?“
„Maria Stuart“, sagte ich gelangweilt.
„Maria Stuart“, wiederholte Conal nickend, „die 1563 ein Statut erließ, welches jede Form der Hexerei unter Todesstrafe stellte.“
„Und die einen Aufstand der ihr
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