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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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drehte sich mit einem übertriebenen Seufzen wieder zu Corinna.
    »Ihr bringt mich in Schwierigkeiten, Signorina«, sagte er. »Das ist Euch doch hoffentlich klar.«
    »Und das mit dem größten Vergnügen«, bestätigte sie und machte einen leicht ungeschickten Hofknicks. »Immer wieder gerne zu Diensten.«
    Andrej hätte gerne gelacht, aber es gelang ihm nicht. Der Traum wartete immer noch darauf, ihn bei der geringsten Unaufmerksamkeit zu überwältigen. Er zog sich an, schlang seinen inzwischen hoffnungslos zerfetzten Mantel um sich und musste sich noch einige Augenblicke gedulden, in denen er Corinna mit großem Vergnügen dabei zusah, wie sie sich ebenfalls ankleidete. Es war ein sonderbares Gefühl, angenehm, aber auch verwirrend. Corinna und er hatten in den wenigen Tagen, die er sie jetzt kannte, so ziemlich alles miteinander getan, was ein Mann und eine Frau miteinander tun können, aber ihr bei etwas so Alltäglichem zuzusehen war auf eine bisher unvertraute Art … beruhigend. Es bereitete ihm einfach Freude, sie zu betrachten, wie sie sich vorbeugte und ihre knöchelhohen Schuhe zuband oder sich das bestickte Tuch um die Schultern legte.
    »Du erwartest Besuch zu dieser frühen Stunde?«, fragte sie, als sie fertig war. »Habe ich Grund, eifersüchtig zu sein?«
    Andrej konnte nur die Schultern heben. »Gehen wir nach unten und sehen nach!«
    Corinna drückte ihm einen spielerischen Kuss auf die Wange (wozu sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste), aber Andrej entging nicht der scheue Blick, mit dem sie seine zerfetzten Kleider und die dunklen Flecken auf seinem Hemd musterte. Dennoch verließen sie das Zimmer ohne ein weiteres Wort und machten sich auf den Weg nach unten. Corinna folgte ihm so dichtauf, dass er ihren Atem im Nacken spürte, als sie die steile Treppe hinuntergingen. Von unten drangen undeutliche Stimmen an sein Ohr: Abu Duns Knurren und noch eine andere, klarere – und sehr markante – Stimme. Andrej ging noch zwei weitere Stufen, bis ihm auffiel, dass Corinna ihm nicht mehr folgte, sondern stehen geblieben war. Überrascht drehte er sich zu ihr um und sah, dass sie sogar noch ein Übriges getan und wieder eine Stufe hinaufgegangen war. Corinna kam seiner Frage zuvor. »Ich … ich habe etwas in deinem Zimmer vergessen«, behauptete sie. »Geh schon einmal vor. Ich komme gleich nach.«
    Und damit wandte sie sich vollends um und lief so schnell die Treppe hinauf, dass ihm keine Gelegenheit mehr blieb, sie noch einmal zurückzurufen, selbst wenn er es gewollt hätte. Ein seltsames Verhalten, dachte er. Und ein bisschen beunruhigend.
    Noch beunruhigender war allerdings der Tonfall, den er mittlerweile in Abu Duns Stimme hörte. Vielleicht sollte er sich später über Corinna wundern und eingedenk der Gereiztheit, die Abu Dun in den letzten Tagen gezeigt hatte, erst einmal dafür sorgen, dass der Nubier nichts tat, was ihnen wirklichen Ärger einbrachte.
    Die Szene, die ihn erwartete, als er den Fuß der schmalen Treppe erreicht hatte, ließ ihn überrascht innehalten.
    Sie waren zu viert, Abu Dun und die Gastwirtin nicht mitgerechnet. Zwei trugen blaurote Uniformen mit Säbel und Muskete und blitzenden Helmen, wie er sie schon oft in dieser Stadt gesehen hatte. Sie waren sichtbar nervös. Ebenso wie der dritte Mann, der Zivil trug, wenn auch von außergewöhnlich guter Qualität. Die vierte Gestalt schließlich reichte Abu Dun gerade bis zur Brust, hatte schulterlanges, dunkles Haar, in dem nicht die Zeit, wohl aber der Kummer die ersten grauen Strähnen hinterlassen hatte, und ein schmales Gesicht, das in dem flackernden Kerzenlicht jünger aussah als gestern und heute keine Spur von Angst mehr zeigte, wohl aber eine große Entschlossenheit. Um den Hals hatte sie eine Kette mit einem schweren goldenen Kreuz, die sie gestern noch nicht getragen hatte. Er hatte den Raum kaum betreten, da fuhr sie schon herum und stieß mit dem ausgestreckten Zeigefinger wie mit einer Waffe nach Abu Duns Brust, als hätte sie nur darauf gewartet, dass ihr Publikum endlich komplett war.
    »Das ist er!«, schrie sie. »Das ist der Mörder, von dem ich Euch erzählt habe! Der Teufel hat ihn geschickt, um uns alle zu vernichten! Und ganz gewiss spioniert er für die Türken! Ihr müsst ihn verhaften! Auf der Stelle, das verlange ich!«
    Abu Dun legte nur die Stirn in Falten und kreuzte die Arme vor der Brust. Mehr musste er auch nicht tun, um die beiden nervösen Soldaten in Alarmbereitschaft zu versetzen.

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