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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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schließlich aufbrachen und sich auf den kurzen Weg zurück zum Bootshaus machten, fiel Corinna unauffällig ein kleines Stück zurück und bedeutete auch ihrem Leibwächter, einen größeren Abstand zu Andrej und ihr einzuhalten.
    »Es waren die beiden Frauen, habe ich recht?«, fragte sie mit gesenkter Stimme und ohne Andrej dabei direkt anzusehen. »Die Dienerinnen Eurer … Freundin.«
    Andrej hätte viel darum gegeben, diese Frage mit einem klaren Nein beantworten zu können. Wider jede Logik hatte er bisher gehofft, sie hätte die Bedeutung dessen, was er ihr über Meruhe und ihre beiden nubischen Kriegerinnen erzählt hatte, nicht erkannt. Jetzt kam er nicht mehr umhin, sich ihren Fragen zu stellen. »Ich glaube, sie wollten Scalsi schon gestern Abend auf der Begräbnisinsel töten«, antwortete er unbehaglich.
    »Aber warum?«
    »Das weiß ich nicht.« Andrej spürte Corinnas zweifelnden Blick mehr, als er ihn sah. »Vielleicht, um Spuren zu verwischen.«
    »Weil der Dottore und seine Gehilfen etwas gesehen haben, was sie nicht sehen sollten?«, vermutete Corinna, dachte stirnrunzelnd über ihre eigene Frage nach und beantwortete sie dann auch selbst mit einem Nicken. »Diese beiden armen Männer, die wir gerade gefunden haben – sie wurden zu Tode gefoltert, nicht wahr?«
    Das wurden sie, wenn auch auf eine Art, die sie sich vermutlich nicht einmal vorstellen konnte, und Andrej würde es ihr ganz sicher nicht erklären. Noch hatte sich das Bild hinter seiner Stirn nicht vollends zusammengefügt, aber die einzelnen Teile begannen allmählich einen Sinn zu ergeben. Vielleicht hätte er ihn schon längst erkannt, wäre er nicht zu grauenhaft gewesen.
    »Dein Sohn«, sagte Corinna plötzlich und scheinbar zusammenhanglos. »Marius. Was hast du ihm angetan, dass er dich so sehr hasst?«
    Andrej fiel auf, dass sie die Stimme nicht nur zu einem Flüstern gesenkt hatte, sondern nun auch Französisch sprach, wohl, damit niemand ihre Worte verstand. Er hatte nicht gewusst, dass sie des Französischen mächtig war, wenn auch langsam und mit einem starken, schleppenden Akzent. Dennoch antwortete er in derselben Sprache.
    »Das, was ich dir bereits erzählt habe. Ich habe ihn für tot gehalten und das getan, was jeder Vater für sein totes Kind getan hätte. Ich habe ihn begraben.« Das hatte er ihr schon einmal erzählt, und das erste Mal hatte es ihm Erleichterung gebracht, jetzt schienen ihm die Worte die Kehle zuzuschnüren. Vermutlich weil da noch mehr war, was er ihr nicht verraten hatte. Corinna sah ihn fragend an und schien genau das zu spüren, und schließlich fuhr er mit jetzt beinahe brechender Stimme fort: »Und dann bin ich weggegangen.«
    Erst sah er in Corinnas Blick nur Mitgefühl und Verständnis, doch dann dämmerte Begreifen darin und abgrundtiefes Erschrecken. »Aber jemand hat ihn gefunden und aus seinem Grab befreit?«, murmelte sie.
    Andrej schüttelte den Kopf. Er schwieg.
    »Aber er … er ist wie du«, flüsterte Corinna. »Ich meine, er … er stirbt nicht.«
    Andrej sagte nichts, und er hätte es auch gar nicht gekonnt, denn in seiner Kehle war plötzlich ein bitterer, stachelig-harter Kloß, der ihn fast am Atmen hinderte. Es war nicht ihre Schuld. Ganz gewiss nicht. Er an ihrer Stelle hätte dieselbe Frage gestellt, vielleicht schon viel eher und viel brutaler. Dennoch beschworen ihre Worte endgültig den Schrecken herauf, den er so lange und so tief in sich begraben hatte. Jetzt musste er nicht einschlafen, um sich in die Fänge des Albtraumes zu begeben – er war da, kam in der Verkleidung einer Erinnerung über ihn und schleuderte ihn mit Urgewalt zurück ins Borsatal. Er sah vor sich, wie er den toten Jungen begraben hatte, tief, um seinen Leib vor Raubtieren und Grabräubern zu schützen – eine grausame Wohltat. Er dachte daran, wie schwer die Steine und die Erde gewesen waren, die er aufgeschichtet hatte. Viel zu schwer für einen kleinen Jungen, um sich aus eigener Kraft daraus zu befreien, selbst wenn er über die Kraft eines Unsterblichen verfügte.
    »Aber er ist wie du«, flüsterte Corinna noch einmal entsetzt. Ihre Stimme zitterte. Warum hörte sie nicht endlich auf? Warum musste sie ihn so quälen? »Er … er war dort … begraben? All die Jahre?« Die ganze Ewigkeit, Vater. Und einen Tag.
    »Nein«, brachte Andrej heraus. »Er hat einen neuen Körper gefunden, irgendwie. Manche von uns können das, weißt du?« Frederic. Sein Name war Frederic, Vater. Ich habe dich

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