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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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nur seinen Zügen ein fast dämonisches Aussehen verlieh, sondern auch denen Corinnas.
    »Gehen wir in mein Arbeitszimmer«, sagte Scalsi. »Dort kann ich Euch alles erzählen, was ich über den Jungen weiß. Ich fürchte nur, allzu viel wird es nicht sein.«
    Scalsis Spital war eigentümlich. Schlecht riechend, wenn auch auf eine Art, die Andrej nicht wirklich einordnen konnte, schien es zu jenen – gar nicht einmal seltenen – Gebäuden zu gehören, deren Inneres größer war, als der äußere Anschein vermuten ließ. Außerdem konnte es seine Vergangenheit nicht verhehlen: Während der Arzt sie durch einen niedrigen Gang ohne Fenster führte, dessen Wände so dick waren, dass man es spüren konnte, schien ein dumpfes Raunen aus allen Richtungen zugleich auf sie einzustürmen und ein vages Gefühl von Kummer, als hätte der ehemalige Kerker eine Stimme bekommen, um all das Leid auszudrücken, das seine Mauern gesehen hatten.
    Und es erging nicht nur ihm so. Abu Dun konnte nicht verhehlen, wie unwohl er sich hier fühlte. Etwas Böses beherrschte dieses Gebäude. Andrej war an vielen schlimmen Orten gewesen – Schlachtfelder, Hinrichtungsstätten und Siechenhäuser und andere und noch viel üblere Plätze, von deren Existenz die meisten Menschen nicht einmal etwas ahnten –, aber das hier war auf seine ganz eigene Art … grauenvoll.
    Scalsi führte sie eine kurze Treppe hinauf und deutete nach rechts, auf eine Tür am Ende des Ganges, doch Abu Dun schüttelte den Kopf und wies in die entgegengesetzte Richtung. Auch dort endete der Gang nach wenigen Schritten vor einer massiven Tür, und auch hier gab es keine Fenster.
    »Was ist dort?«, fragte er.
    Andrej konnte dem Arzt ansehen, dass er auch jetzt wieder überlegte, ob der Nubier überhaupt den Atem für eine Antwort wert war. Schließlich deutete er eine Bewegung an, die sich mit viel gutem Willen als Schulterzucken deuten ließ. »Nichts, was du sehen willst, schwarzer Mann.«
    Abu Dun sog hörbar die Luft durch die Nase ein, und Andrej sagte rasch: »Aber immerhin erwartet Ihr von mir, dass ich Euch das Leben meines Sohnes anvertraue.«
    »Habt Ihr das nicht schon vor einem halben Jahr?«
    Andrej wollte auffahren, doch er wollte sich nicht von Abu Duns Gereiztheit anstecken lassen. »Ihr habt recht, Doktor«, sagte er kühl. »Wir haben Geschichten über diesen Ort gehört. Beunruhigende Geschichten.«
    Das war glattweg gelogen. Tatsächlich hatten sie vor weniger als einer Stunde ja noch nicht einmal gewusst, dass es dieses Spital gab, und schon gar nicht, dass Marius sich hier befand – aber konnte der angebliche Arzt das wissen?
    Und wirklich, Scalsi sah einen Augenblick lang irritiert aus, aber Andrej begriff rasch, dass dies wohl dem Umstand geschuldet war, dass er Abu Duns Partei ergriff. »Wie Ihr wünscht«, sagte er schließlich. »Aber es wird Euch nicht gefallen.«
    »Gibt es denn eine Krankheit, deren Anblick einem Mann gefallen sollte?«, fragte Abu Dun.
    Wie nicht anders zu erwarten, ignorierte Scalsi die Worte des Nubiers, doch nun mischte sich Corinna ein. »Zeigt es ihm, Dottore! Er wird es verstehen.«
    Scalsi sah nicht begeistert aus, zog aber dennoch einen Schlüssel aus der Manteltasche und trat an ihm vorbei, um die Tür zu entriegeln. Er musste einen Gutteil seiner Kraft aufwenden, um sie zu öffnen. Selbstverständlich rührte Abu Dun keinen Finger, um ihm zu helfen. Ein Schwall abgestandener Luft schlug ihnen entgegen, gesättigt mit Schwärze und einem intensiven Geruch nach Krankheit und Tod. Andrej musste sich beherrschen, um nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen, und Abu Dun versuchte es erst gar nicht.
    »Ich habe gesagt, es wird Euch nicht gefallen«, sagte Scalsi, während er zur Seite trat, um den Weg freizugeben, und zugleich seine Lampe hob.
    »Ich warte hier«, sagte Corinna. Sie klang nervös.
    Der Gang vor ihnen war breiter, aber so dunkel, dass selbst seine scharfen Augen nur Schemen erkannten. Es gab auf jeder Seite drei niedrige, mit schweren Eisenbändern verstärkte Türen, kaum anderthalb Meter hoch und aus drei Zoll dicken Eichenbohlen mit gerade einmal handflächengroßen Gucklöchern, die zusätzlich vergittert und ausnahmslos geschlossen waren. Die Tür gleich hinter dem Eingang stand offen, sodass Andrej einen Blick in die winzige Zelle dahinter werfen konnte, ein Viereck mit einem Sack voller fauligem Stroh in einer Ecke. Alles war feucht, und der Gestank, den Wände und Decke und Boden verströmten,

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