Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
den zahlreichen Spiegeln. »Weil du ein hübsches Kind bist und sie dir eine Freude machen wollte‹, antwortete ich, und meine Stimme kam mir klein und fremd vor.
Claudia lachte tonlos. ›Ein hübsches Kind!‹ wiederholte sie und sah zu mir herauf. ›Glaubst du, ich bin es noch immer?‹ Und ihr Gesicht verdunkelte sich, während sie weiter mit der Puppe spielte und mit dem kleinen Finger die winzige Nackenlinie entlangfuhr. ›Ja, ich ähnele ihren Puppenkindern. Du solltest sie in ihrem Laden arbeiten sehen, mit ihren Puppen, alle mit den gleichen Gesichtern, Augen, Mündern.‹ Sie berührte ihren eigenen Mund. Etwas schien sich plötzlich zu verschieben in den vier Wänden dieses Zimmers, und die Spiegel mit Claudias Abbild zitterten, als seufze die Erde unter den Fundamenten. In den Straßen rollten und ratterten die Wagen, aber sie waren zu weit weg. Und dann sah ich, was sie, noch immer ein Kind, machte: In einer Hand hielt sie die Puppe, die andere hatte sie an die Lippen geführt, und die Hand, die die Puppe hielt, zerdrückte sie und brach sie zu Scherben, die nun aus der blutenden Hand auf den Teppich fielen. Sie nahm das Puppenkleidchen und schüttelte die winzigen Bruchstücke ab; ich kehrte mich weg, doch sie verfolgte mich mit den Blicken aus dem geneigten Spiegel über dem Kamin und musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen.
›Warum schaust du fort, warum siehst du mich nicht an?‹ fragte sie, und ihre Stimme war wieder ganz das Silberglöckchen. Doch dann lachte sie leise, ein Frauenlachen, und sagte: ›Hast du gedacht, ich würde immer deine Tochter bleiben? Bist du der Vater von Narren, der Narr unter den Vätern?‹
›Dein Ton ist ungehörige sagte ich.
›Hmmm… ungehörige Ich glaube, sie nickte. Sie war wie ein loderndes Feuer in meinem Augenwinkel, wie blaue und goldene Flammen.
›Und was halten sie von dir‹, fragte ich so sanft wie möglich, ›da draußen?‹ Ich zeigte zum Fenster.
Sie lächelte. ›Vielerlei. Die Menschen sind sehr erfinderisch, wenn es um Erklärungen geht. Hast du die Liliputaner in den Parks und den Zirkussen gesehen, die kleinen Mißgeburten, die sich für Geld sehen lassen?«
›Ich war nur ein Zauberlehrlinge brach ich plötzlich wider Willen aus. ›Ein Lehrlinge Ich wollte sie berühren, ihr Haar streicheln, doch ich blieb sitzen in der Furcht, ihr Zorn könne wie ein Streichholz aufflammen.
Dann saß sie neben mir, zog meine Hand in ihren Schoß und legte die ihre darauf. ›Ein Lehrling, ja‹, lachte sie. ›Aber verrate nur das eine, von deiner erhabenen Höhe herab - wie war das, was die Menschen Liebe nennen?‹
Ich erhob mich, um von ihr wegzugehen, früher, als ich beabsichtigt hatte, und suchte wie irgendein schwachsinniger Sterblicher nach Mantel und Handschuhen. ›Du erinnerst dich nicht?‹ fragte sie mit vollendeter Ruhe, als ich die Hand auf die Türklinke legte.
Ich hielt beschämt inne, spürte ihren Blick in meinem Rücken, und dann wandte ich mich um, als ob ich überlegen müßte: Wohin gehe ich eigentlich, was soll ich tun, warum stehe ich noch hier? ›Es war meist eine hastige Angelegenheit, sagte ich und versuchte, ihrem Blick zu begegnen. Was für makellose, kühlblaue Augen! Wie ernsthaft! ›Und…‹, fuhr ich fort, ›es wurde selten ausgekostet… es war scharf und heftig und schnell vorbei. Ich glaube, es war nur der blasse Schatten des Tötens.‹
›Ach…‹, sagte sie. ›Wie wenn ich dich verletze, wie ich es jetzt tue… auch das ist der blasse Schatten des Tötens.‹
›Ja, Madame‹, sagte ich. ›Mir scheint, das trifft ins Schwärzen Und mit einer kurzen Verbeugung bot ich ihr gute Nacht.«
»Erst nach einer geraumen Weile verlangsamte ich meinen Schritt. Ich hatte die Seine überquert. Mich verlangte nach Dunkelheit, um mich vor Claudia zu verbergen und zugleich vor den Gefühlen, die in mir aufstiegen, vor der großen verzehrenden Sorge, daß ich ganz und gar unfähig sei, sie glücklich zu machen oder mich selber glücklich zu machen, indem ich sie zufriedenstellte.
Ich hätte eine Welt dafür gegeben, die ganze Welt, die wir besaßen und die mir zugleich leer und unabänderlich schien. Doch ich war verletzt von ihren Worten und ihren Blicken, und keine der vielen Erklärungen - die mir wieder und wieder durch den Kopf gingen und sich sogar in verzweifeltem Geflüster auf meinen Lippen formten, als ich die Rue Saint-Michel verließ und mich immer tiefer in den dunklen Gassen des Quartier Latin
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