Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
sah, daß er blinzelte, wußte ich, daß ich selber soeben geblinzelt hatte, und als ich die Arme über der Brust faltete, tat er das gleiche. Es war aufreizend, ja, mehr als aufreizend; denn bewegte ich die Lippen, dann bewegten sich seine Lippen ebenso, fast unmerklich; mir erstarben die Worte, die ich hatte sagen wollen, und ich fand keine anderen, um diesem unheimlichen Treiben Einhalt zu gebieten. Und dabei immer diese scharfen schwarzen Augen und diese Aufmerksamkeit von oben herab, die natürlich purer Hohn war, doch darum nicht weniger eindringlich auf mich gerichtet. Er war der Vampir, und ich schien das Spiegelbild zu sein.
›Sehr geschickte sagte ich in verzweifeltem Spott, und natürlich sprach er es so schnell nach, wie ich es gesprochen hatte. Und obwohl ich darüber mehr noch als über alles Bisherige wütend war, obwohl meine Beine zitterten und mir der Schweiß aus allen Poren brach, zwang ich mich zu einem schwachen Lächeln. Er lächelte zurück, aber in seinen Augen lag eine tierische Wildheit, die meinen Augen fremd war, und das Lächeln, obwohl eine Kopie des meinen, war böse und drohend. Und dann hob er langsam, sehr langsam, den rechten Arm, obwohl meiner an der Seite geblieben war, ballte die Hand zur Faust und hämmerte in raschen Schlägen auf seine Brust, um mein Herzklopfen zu verspotten. Dabei lachte er laut, warf den Kopf zurück und zeigte seine Raubtierzähne, und sein Lachen schien die ganze Gasse zu erfüllen. Ich verabscheute ihn; ich kann dir gar nicht sagen, wie ich ihn verabscheute. ›Du hast es auf mich abgesehen?‹ fragte ich, und er äffte mich nach.
›Schwindler!‹ sagte ich. ›Komödiant!‹
Dieses Wort ließ ihn verstummen. Es erstarb auf seinen Lippen, noch ehe er es nachsprechen konnte, und seine Züge wurden hart.
Dann drehte ich ihm impulsiv den Rücken zu, um fortzugehen; vielleicht wollte ich ihn veranlassen, mir zu folgen und mich zu fragen, wer ich sei. Doch in einer raschen Bewegung, so schnell, daß ich es nicht erfassen konnte, stand er wieder vor mir, als sei er just da aus dem Boden gestiegen. Abermals wandte ich mich um - und sah ihn wieder unter der Laterne, als hätte er sich überhaupt nicht fortbewegt.
›Ich habe dich gesuchte sagte ich, ›ich bin nach Paris gekommen, um dich zu suchen!‹ Ich zwang mich, diese Worte zu sprechen, und er wiederholte sie nicht und rührte sich nicht, sondern stand still und starrte mich an. Dann trat er langsam vor und streckte die Hand aus, als wollte er meine ergreifen, doch statt dessen versetzte er mir einen Stoß, daß ich schwankte und mich an der feuchten Mauer festhalten mußte. Und als ich mich aufrichtete, um ihm entgegenzutreten, schlug er mich ganz zu Boden.
Ich kann dir nicht schildern, wie stark er war. Doch dann sagte ich zu mir: Zeig ihm deine eigene Kraft, und erhob mich und fiel ihn mit beiden Armen an. Und ich schlug ins Nichts, in die leere Nacht, und ich blickte um mich, allein und ganz und gar zum Narren gehalten. Man wollte mich auf die Probe stellen, soviel wußte ich jetzt, und ich spähte aufmerksam in die dunkle Straße, prüfte Nischen und Torwege, in denen er sich verborgen halten konnte. Ich wollte nicht auf die Probe gestellt werden, aber ich sah keinen Ausweg. Plötzlich war er wieder da, packte mich an den Schultern und warf mich wieder auf das holprige Pflaster, wo ich vorhin gelegen. Ich spürte seinen Stiefel auf den Rippen und griff wütend nach seinem Bein und riß ihn zu Boden; er fiel gegen eine Mauer und stieß ein wütendes Knurren aus.
Was dann vor sich ging, war ein völliges Durcheinander. Ich hielt das Bein fest; er stürzte auf mich, und es gelang ihm, sich zu befreien, und ich wurde von starken Händen hochgehoben. Ich konnte mir vorstellen, was nun geschehen würde. Er hätte mich zu Boden schmettern können, einige Meter weit von sich, er war stark genug dazu. Und angeschlagen und schwer verletzt, hätte ich womöglich das Bewußtsein verloren - dabei war mir nicht genau klar, ob ich überhaupt das Bewußtsein verlieren konnte. Aber es kam nicht dazu. Irgend jemand muß zwischen uns getreten sein und meinen Gegner gezwungen haben, von mir abzulassen.
Als ich aufblickte, sah ich nur den Bruchteil einer Sekunde zwei Gestalten, wie einen kurzen Reflex, nachdem man das Auge schließt, ein Wirbel von schwarzen Mänteln, Stiefeln, die aufs Pflaster schlugen. Dann saß ich keuchend und allein in der dunklen Straße, der Schweiß lief mir über das Gesicht, und als
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