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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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verlor - keine Erklärung schien mir geeignet, ihre tiefe Unzufriedenheit oder meine Pein zu lindem.
    Die Worte, die ich vor mich hin sprach, wurden zu einem seltsamen Gesang. ›Ich mache sie nicht glücklich, ich kann es nicht, ich kann es nicht, und ihr Unglück wächst mit jedem Tag.‹ Das war mein Gesang, den ich wiederholte, abbetete wie einen Rosenkranz, eine Zauberformel, um die Wahrheit zu verändern, nämlich Claudias unvermeidliche Enttäuschung über unsere Pilgerfahrt, die uns in diese Hölle geführt hatte, eine Hölle, in der sie sich von mir abwandte und mich klein erscheinen ließ gegenüber ihrer ungeheuren Not. Ich empfand sogar eine wilde Eifersucht auf die Puppenmacherin, der sie ihren Wunsch nach der klingelnden kleinen Puppe anvertraut hatte, weil diese Frau ihr einen Augenblick lang etwas gegeben hatte, das sie in meiner Gegenwart fest an sich drückte, als sei ich überhaupt nicht da.
    Worauf lief das hinaus, wohin konnte es führen? Noch nie, seit wir vor Monaten nach Paris gekommen waren, hatte ich die gewaltige Größe dieser Stadt, wo ich in wenigen Schritten aus den dunklen Gassen in die Welt der Vergnügungen gelangen konnte, so stark gefühlt, und nie so deutlich ihre Zwecklosigkeit. Zwecklos für Claudia, wenn es ihr nicht gelang, ihres Zornes Herr zu werden, irgendwie die Grenzen zu erfassen, deren sie sich so ärgerlich, so bitter bewußt zu sein schien. Ich war hilflos, und sie war hilflos. Doch sie war stärker als ich. Und ich wußte, hatte es auch in dem Moment gewußt, als ich sie im Hotel zurückgelassen, daß hinter ihren Augen ihre unaufhörliche Liebe für mich war.
    Und müde und taumelig, verloren in dem Labyrinth der Gassen, spürte ich mit den unauslöschlichen Sinnen des Vampirs, daß mir jemand folgte.
    Mein erster Gedanke war, Claudia sei mir nachgekommen, doch die Schritte waren zu schwer für sie. Wahrscheinlich, dachte ich, irgendein Sterblicher, der unwissend dem Tode entgegengeht. Dann horchte ich genauer und merkte, daß diese Schritte sich im vollkommenen Gleichtakt mit meinen bewegten. Ein Zufall denn wenn es sterbliche waren, dann waren sie zu weit entfernt für sterbliche Ohren. Doch als ich unwillkürlich stehenblieb, um darüber nachzudenken, blieben sie auch stehen; und als ich zu mir sagte, Louis, du täuschst dich, und weiterging, setzten auch sie sich wieder in Bewegung, jeder Schritt zugleich mit meinem und schneller, als ich den Gang beschleunigte. Und dann geschah etwas Sonderbares: Ich stolperte über einen Stein, schwankte und stieß gegen eine Mauer - und die Schritte hinter mir wiederholten alles genau, das Stolpern, das Schwanken, das Anstoßen.
    Ich war aufs höchste erstaunt und wußte nicht, was ich tun sollte. Rechts und links von mir war die Straße dunkel; nicht einmal in einer Dachkammer schimmerte ein trübes Licht. Ich hatte das beinahe unwiderstehliche Verlangen, jenes Wesen, das kein menschliches sein konnte, anzurufen und zu begrüßen, es wissen zu lassen, daß ich es erwaltete und mich ihm stellen wollte. Doch ich hatte Furcht. Es schien mir vernünftiger, weiterzugehen und abzuwarten, bis es mich eingeholt hatte; und als ich es tat, äfften mich wieder meine eigenen Schritte, und der Abstand blieb der gleiche. In mir wuchs die Spannung; die Dunkelheit, die mich umgab, wurde drohender, und ich sagte zu mir im Takt der Schritte: Warum gehst du mir nach, warum verfolgst du mich?
    Und als ich vor einer Straßenbiegung zögerte, gab es über mir ein Krachen und Klappern, als ob ein Dach einstürzte, und ich sprang zurück, gerade rechtzeitig, als eine Ladung Dachziegel auf die Straße polterte. Dann war alles ruhig. Ich starrte die Ziegelsteine an und lauschte und wartete. Und dann ging ich langsam um die Ecke, wo eine Laterne brannte, in deren Schein mich, unverkennbar, die Gestalt eines anderen Vampirs überragte.
    Er war riesengroß, wenngleich so mager wie ich; das längliche weiße Gesicht schimmerte unter der Laterne, und die großen schwarzen Augen starrten mich in unverhohlener Verwunderung an. Und dann sah ich erschreckt, daß nicht nur sein volles und langes Haar ebenso gekämmt war wie das meine, daß er nicht nur den gleichen Mantel und Überhang trug wie ich, sondern auch meine Haltung und meinen Gesichtsausdruck vollkommen imitierte. Ich schluckte und ließ langsam meine Augen über ihn gleiten, bemüht, ihn meinen erregten Pulsschlag nicht merken zu lassen, während er mich in der gleichen Weise musterte. Und als ich

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