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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ich umherstarrte, sah ich eine Gestalt in einer Mauernische hocken. Ein bleiches Männergesicht, breiter als das andere, und große dunkle Augen, die mich fixierten. Er sagte leise, ohne die Lippen zu bewegen: ›Sie sind unverletzt‹.
    Ich richtete mich auf, bereit, mich zur Wehr zu setzen. Aber die Gestalt blieb sitzen, als sei sie ein Teil der Mauer. Eine Hand griff in die Tasche und holte eine Karte heraus, weiß wie die Hand, die sie mir reichte. Ich nahm sie nicht, rührte mich nicht. ›Kommen Sie morgen abend zu uns‹, kam es flüsternd aus dem glatten, ausdruckslosen Gesicht. ›Ich tue Ihnen nichts. Und der andere auch nicht. Ich werde es nicht erlauben.‹ Er streckte den Arm weit aus, wie es Vampire können, und drückte mir die Karte in die Hand, und dann glitt er wie eine Katze die Hausmauer empor und verschwand zwischen den Giebeln des Dachgeschosses.
    Jetzt war ich allein; ich wußte, fühlte es. Das Klopfen meines Herzens schien in der leeren Straße widerzuhallen, als ich unter der Laterne stand und die Karte las. Mit purpurroter Schrift war darauf geschrieben:
    ›Theätre des Vampires‹. Und die Anfangszeit: ›Neun Uhr abends‹. Auf der Rückseite entdeckte ich noch eine Notiz: ›Bringen Sie die petite beautée mit. Sie sind beide herzlich willkommen. Armand‹.
    Ich zweifelte nicht, daß die Gestalt, die mir die Karte gegeben, sie auch geschrieben hatte. Und mir blieb nur kurze Zeit bis zur Dämmerung, um zum Hotel zurückzugehen und Claudia alles zu erzählen. Ich lief so schnell, daß die wenigen Menschen auf den Boulevards den Schatten nicht wahrnahmen, der an ihnen vorüberhuschte.«
    »Das ›Theâtre des Vampires‹ war nur mit einer Einladung zu betreten, und am nächsten Abend prüfte der Portier meine Karte, während der Regen sanft auf alles herniederrieselte: auf den Mann und die Frau, die vor der Kasse stehenblieben; auf die Plakate blutrünstiger Vampire mit ausgestreckten Armen und Mänteln wie Fledermausflügel, im Begriff, sich auf die nackten Schultern eines sterblichen Opfers zu stürzen, und auf die anderen Paare, die sich nach uns in das Theater drängten. Ich sah gleich, daß sie alle Menschen waren, keine Vampire darunter, auch nicht der Knabe, der uns in das Foyer führte, wo es nach feuchten Kleidern roch und Damen in angeregter Unterhaltung mit behandschuhten Fingern ihre Hüte und nasse Locken betasteten. Ich drängte mich in den Schatten. Wir hatten unsere Nahrung heute früher zu uns genommen, damit unsere Haut nicht zu weiß, unsere Augen nicht zu glänzend waren. Ich war unbefriedigt geblieben, doch zu mehr war keine Zeit gewesen. Dies war keine Nacht zum Töten, es sollte eine Nacht der Offenbarung werden, wie immer sie enden mochte. Dessen war ich sicher.
    Nun standen wir hier in dem allzu menschlichen Gedränge; die Tür zum Zuschauerraum wurde geöffnet, und man führte uns in eine Loge, eine der besten des Hauses, und wenn das Blut, das wir heute getrunken, auch meine Haut nicht restlos gefärbt und aus Claudia an meinem Arm nicht ganz ein Menschenkind gemacht hatte, so schien es der Schließer nicht zu bemerken, oder es kümmerte ihn nicht. Jedenfalls lächelte er freundlich, als er einen Vorhang zurückzog und uns zu den beiden Plätzen vor der Messingbrüstung führte.
    ›Würdest du es ihnen zumuten, menschliche Sklaven zu haben?‹ fragte Claudia flüsternd.
    ›Lestat hat niemals menschlichen Sklaven getraut‹, gab ich zurück.
    Die Reihen des Zuschauerraums füllten sich. Blumenhüte wogten, weiße Schultern schimmerten, Diamanten glitzerten im hellen Gaslicht. Dann gingen die Lampen aus, im Rang, im Parkett. Im Orchestergraben vor der Bühne hatten sich die Musikanten versammelt, vor dem grünen Samtvorhang flammte das Rampenlicht auf. Das Sprechen und Hüsteln im Publikum verstummte, und nach einer kurzen Stille erklang der langsame, rhythmische Schlag eines Tamburins; die dünnen Töne einer Flöte gesellten sich dazu und verbanden sich mit den Messingglöckchen des Tamburins zu einer altertümlichen Melodie, die alsbald von gezupften Streichinstrumenten unterstützt wurde. Die Flöte stieg an zu einer schwermütigen Weise. Sie hatte einen besonderen Zauber, diese Musik, und die Zuschauer schienen wie von einem unsichtbaren Band gefesselt, das sich im Dunkel um sie legte. Dann hob sich der Vorhang, und die Bühne zeigte einen dichten Wald mit voll belaubten Bäumen, dazwischen sah man ein steiniges Flußufer und dahinter den glitzernden Fluß

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