Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
grub, und das dunkle Theater atmete dumpf im Banne dieses Rausches. Ich fühlte mich schwach und betäubt; meine Hand umklammerte das Messinggitter unserer Loge. Der Hunger stieg in mir auf, ich hörte das feine saugende Geräusch, das kein Sterblicher vernehmen konnte, und die Luft war heiß und süß und erfüllt von dem Duft ihrer Haut. Die anderen Vampire scharten sich um sie; die weiße Hand, die sie hielt, zitterte und ließ sie endlich los, und eine der schönen Vampirfrauen nahm sie in die Arme, wiegte sie und streichelte sie und beugte sich über sie, um zu trinken. Dann wurde sie vor der atemlos verzückten Menge von einem zum anderen gereicht, den Kopf über die Schultern eines Vampirmannes geneigt, und der Nacken war reizend wie der Rücken, die makellose Haut der langen Schenkel oder die Fältchen der Kniekehlen. Der braunhaarige Vampir, der sie bezwungen hatte, stand beiseite wie zu Anfang, und seine dunklen Augen schienen auf mich geheftet zu sein.
Nach und nach verschwanden die Vampire, bis das sterbliche Mädchen nackt im Walde lag, auf eine mit schwarzer Seide ausgeschlagene Bahre gebettet wie auf dem Waldboden selbst. Die Musik begann wieder, leise, unheimlich und beschwörend und wurde lauter, während die Lichter verdämmerten. Jetzt war nur noch der Gaukler auf der Bühne; er hatte wieder seine Sense und die Maske ergriffen und hockte sich neben das schlafende Mädchen, und nur noch die Musik beherrschte die Dunkelheit, die sich um die beiden schloß. Und dann erstarb sie auch.
Einen Augenblick blieb es still; dann wurde hier und da Beifall geklatscht, bis sich alles in lautem Applaus vereinte. Die Lichter an den Wänden und an der Decke gingen an, die Leute standen auf und drängten hinaus, schweigend zuerst, und dann verwandelten sie sich wieder in die angeregt plaudernde Menge, als die sie gekommen waren. Der Zauber war gebrochen. Türen wurden aufgerissen, man hörte das Klappern von Pferdehufen und die Rufe nach einer Droschke, und von der Straße drang der feuchte Regenduft herein.
Ich war sitzen geblieben und lauschte, auf die Brüstung gelehnt und mit einer Hand mein Gesicht abschirmend. Die Leidenschaft in mir verebbte, aber noch hatte ich den Geschmack des Mädchens auf den Lippen. Es war, als könne ich durch die Regenfeuchte noch ihren Duft riechen, im leeren Theater noch ihren Herzschlag hören. Ich zog den Atem ein und warf einen Blick auf Claudia, die ganz still dasaß, die behandschuhten Hände im Schoß.
Unter mir ging ein Schließer durch die Reihen, rückte die Sessel zurecht und hob hier und da ein Programm auf, das liegengeblieben war. Ich fühlte einen bitteren Geschmack im Mund und in mir eine schmerzliche Leere und Verwirrung, und ich wußte, sie würde enden, wenn ich mich hinunterstürzte, den Mann packte und in die Dunkelheit zöge und ihn nähme, so wie man oben auf der Bühne das Mädchen genommen hatte. Claudia neben mir flüsterte: ›Geduld, Louis, Geduld.‹
Jemand war lautlos in unsere Loge getreten, der Vampir mit dem braunen Haar; und ich wußte, es war der gleiche, der mir die Einladungskarte für das Theater gegeben hatte. Armand. Es sah aus, als habe er schon lange an der Wand gestanden, und er veränderte seine Miene nicht, als wir ihn anblickten und dann auf ihn zugingen. Jetzt ließ er die Augen lässig über Claudia gleiten, ganz ohne den Versuch, wie es Menschen tun, sein Staunen zu bemänteln. Ich legte die Hand auf Claudias Schulter und sagte ›Wir haben Sie lange gesucht‹ und hatte dabei das Gefühl, daß er es wußte, und durch seine gelassene Haltung und seine tiefen braunen Augen schien er auszudrücken, ich brauchte nicht weiter darüber nachzudenken oder zu sprechen. Claudia schwieg.
Er machte eine Geste, die zugleich ein Willkommensgruß war und ein Wink, ihm zu folgen, und ging hinaus, die Treppen hinunter, in schnellen und fließenden Bewegungen. Verglichen mit seinen waren meine Gesten Karikaturen menschlicher Gebärden.
Er öffnete eine Tür in der Wand und führte uns in die Räume unter dem Theater; seine Füße berührten nur leicht die Steintreppen, als wir hinabstiegen.
Wir kamen in einen Raum, der wie ein riesiger unterirdischer Ballsaal erschien, in den Felsen gehauen, viel älter als das Theater selbst. Die Tür, die er für uns geöffnet hatte, fiel hinter uns ins Schloß, und das Licht verlor sich, noch ehe ich mir von dem Saal ein Bild machen konnte. In der Dunkelheit vernahm ich das Rascheln seiner Kleidung und dann
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