Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
eines Menschen, und es lag etwas Boshaftes darin.
Und Santiago stimmte ein, in der gleichen Tonart: ›Ja, erzähl uns vom Hexensabbat, vom Kraut, das unsichtbar macht.‹ Er lächelte. ›Und vom Scheiterhaufen.‹
Armand hatte Claudia angeblickt. ›Hütet euch vor diesen Unholdem, sagte er und ließ wie unabsichtlich die Augen über Santiago und dann über Celeste gleiten. ›Die Geister der Verstorbenen. Sie würden euch angreifen, als ob ihr Menschen wärt.‹
Celeste schauderte und sagte etwas Verächtliches, wie ein Aristokrat von vulgären Vettern spricht, die den gleichen Namen tragen. Doch ich beobachtete Claudia, deren Augen sich wieder wie vorher verschleierten. Sie blickte plötzlich von Armand weg.
Die Stimmen der anderen schwollen an, affektierte Party-Stimmen; sie erzählten einander, wie sie nächtlich getötet hatten, und beschrieben diese und jene Begegnung ohne das geringste Mitgefühl. Was würde Lestat dazu gesagt haben, wäre er dabeigewesen? Er, der gewohnt war, jeden Kreis zu beherrschen? Wie hätten sie seinen Erfindungsreichtum gerühmt, sein katzenhaftes Spiel mit seinen Opfern. Und Versäumnis… jenes Wort, das sich mir schon als gerade flügge gewordener Vampir eingeprägt hatte, wurde oft ausgesprochen. Du hast die Gelegenheit ›versäumt‹, dieses Kind zu töten; du hast ›versäumt‹, diese arme Frau zu erschrecken oder jenen Mann in den Wahnsinn zu treiben, wozu nur ein wenig Gaukelei genügt hätte.
In meinem Kopf drehte es sich. Ich wollte weg von diesen Vampiren; nur die Anwesenheit Armands ließ mich noch bleiben, trotz seiner Warnung. Er hielt sich den anderen innerlich fern, wenn er auch öfters zustimmend nickte und die Hand hob und hier und da einige Worte beisteuerte, so daß er ein Teil von ihnen schien. Mein Herz frohlockte, als ich sah, daß keiner von allen seinen Blick so zu fangen und so festzuhalten vermochte wie ich, wenn er auch zu mir ebenfalls distanziert blieb. Seine Warnung klang mir in den Ohren, doch ich beachtete sie nicht. Es verlangte mich hinaus aus diesem Theater, und ich hörte teilnahmslos zu, und was ich schließlich vernahm, kam mir nutzlos und uninteressant vor.
Claudia hatte gefragt: ›Aber gibt es kein Verbrechen bei euch, keine Todsünde?‹ Mir war, als seien ihre Augen auf mich gerichtet, sogar im Spiegel, während ich ihr den Rücken zuwandte.
Und Estelle rief: ›Ein Verbrechen? Langeweile!‹ Und sie deutete auf Armand. ›Langeweile ist der Tod!‹ rief sie; und Armand lachte und tat, als erschrecke er, und hielt die Hand vor die Augen, als sie ihre Vampirzähne entblößte.
Doch Santiago, der mit den Händen auf dem Rücken zugehört hatte, sagte: ›Verbrechen? Ja, es gibt eins. Ein Verbrechen, für das wir einen Vampir verfolgen, bis wir ihn vernichtet haben. Könnt ihr raten, was es ist?‹ Sein Blick ging von Claudia zu mir und zurück auf ihr maskenhaftes Gesicht. ›Ihr solltet es wissen, die ihr so verschwiegen seid über den Vampir, der euch geschaffen hat.‹
Ein Schweigen legte sich über die Gesellschaft, erst allmählich, dann hielt es jeden in Bann; und all die weißen Gesichter waren nur auf Santiago gerichtet, der neben Claudia stand und sie überragte. Seine Augen leuchteten, als er sah, daß er das Wort hatte. Dann trat er hinter mich und legte mir die Hand auf die Schulter. ›Könnt ihr erraten, welches dieses Verbrechen ist? Hat euer Meistervampir es euch nicht gesagt? Es ist die Todsünde für jeden Vampir, einerlei, wer sie begeht. Und der begeht sie, der jemand seinesgleichen tötet!‹
›Haha, haha!‹ Claudia brach in perlendes Gelächter aus. Sie stand auf, nahm mich bei der Hand und sagte: ›Und ich hatte schon gefürchtet, das Verbrechen wäre, schaumgeboren zu sein wie Aphrodite - so wie wir es sind. Meistervampir! Komm, Louis, laß uns gehen.‹ Und sie zog mich fort.
Santiago war verstummt. Armand lachte. Und er war es, der uns zur Tür begleitete und sagte: ›Ihr seid jederzeit willkommen - morgen abend oder übermorgen.‹«
»Ich glaube, ich habe nicht ein einziges Mal Atem geholt, bis ich draußen war. Die regennassen, einsamen Straßen waren von einer eigenartigen Schönheit; ein paar Papierfetzen drehten sich im Wind, eine erleuchtete Kutsche fuhr langsam vorüber, mit dem schweren rhythmischen Klopfen der Pferdehufe. Der Himmel zeige ein blasses Violett. Ich ging schnell voran, Claudia neben mir, bis sie nicht mehr Schritt halten konnte und ich sie auf die Arme nahm.
›Ich kann
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