Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Hemmungslosigkeit eines Erwachsenen in meine Arme geschlossen hatte. Mir gingen drei Dinge durch den Sinn: der letzte Abend im Hotel Saint-Gabriel, der ein Jahr zurückzuliegen schien, als sie voller Erbitterung von Liebe sprach, der noch wirkende Schock von Armands Offenbarungen und die heimliche Beschäftigung mit den Vampiren, die mich unter diesen grotesken Wandgemälden umgaben. Denn von den Vampiren konnte ich viel lernen, ohne je eine Frage zu stellen, und das Leben der Vampire in Paris war genauso, wie ich es befürchtet, wie es die kleine Bühne in dem Theater angedeutet hatte.
Das Halbdunkel im Raum brachte die Gemälde an den Wänden, den ›Triumph des Todes‹ und den ›Fall der Engel‹, erst richtig zur Geltung. Einer der Vampire brachte ein neues Bild, den Kupferstich eines zeitgenössischen Künstlers, und es entspann sich eine Diskussion darüber. Celeste, die kühle Hand auf meinen Arm gelegt, sprach mit Verachtung von den Menschen als den Urhebern solcher Werke, und Estelle, Claudia auf ihrem Schoß, erklärte mir, dem naiven Kolonialfranzosen, daß Vampire solche Greuelbilder nicht gemacht, sondern nur gesammelt hätten, und betonte immer wieder, daß Menschen viel größerer Übeltaten fähig wären als Vampire.
›Ist es böse, solche Bilder zu malen?‹ fragte Claudia mit ihrem tonlosen Stimmchen.
Celeste warf ihre schwarzen Locken zurück und lachte. Sie erwiderte:
›Was man sich vorstellen kann, kann man tun.‹ Aber in ihren Augen stand eine gewisse unterdrückte Feindseligkeit. ›Natürlich wetteifern wir mit den Menschen im Töten auf alle Art, nicht wahr?‹ sagte sie und rückte näher und berührte Claudias Knie. Aber Claudia schaute sie nur an und hörte unbeteiligt ihre Rede und ihr nervöses Lachen. Jetzt trat Santiago zu uns und sprach von unseren Zimmern im Hotel Saint-Gabriel; sie seien furchtbar unsicher, meinte er mit einer übertriebenen Geste. Und er zeigte sich verblüffend gut unterrichtet; er kannte den Sarg, in dem wir schliefen, und nannte ihn vulgär. ›Kommen Sie zu uns‹, sagte er zu mir in der fast kindlichen Offenheit, die er schon vorhin bekundet hatte. ›Wohnen Sie bei uns, und Sie brauchen nicht Verstecken zu spielen. Wir haben unsere Wachen. Und erzählen Sie mir, woher Sie kommen.‹ Er legte die Hand auf die Lehne meines Sessels. ›Ihre Stimme - ich kenne doch den Akzent; sagen Sie noch einmal etwas!‹
Ich war leicht bestürzt, daß mein Französisch einen Akzent haben sollte; aber das war nicht meine größte Sorge. Santiago war hartnäckig und besitzgierig, und ich mußte auf der Hut vor ihm sein. Und nun redeten alle Vampire um uns gleichzeitig; Estelle erklärte, die Kleiderfarbe des Vampirs sei schwarz; Claudias pastellfarbenes Kleid sei zwar sehr hübsch, aber unangemessen. ›Wir verschmelzen mit der Nacht‹, sagte sie, legte ihre Wange an Claudias und lachte, um ihre Kritik zu enthärten; und Celeste lachte, und Santiago lachte, und der ganze Saal schien von unirdischem Gelächter zu erklingen, so daß die Kerzenflammen zitterten. ›Wie kann man nur solche Locken bedecken!‹ sagte Celeste und spielte mit Claudias goldenem Haar. Offensichtlich hatten sich alle außer Armand die Haare schwarz gefärbt; und dieser Umstand, zusammen mit den schwarzen Gewändern, verstärkte den unangenehmen Eindruck, daß sie alle Statuen von demselben Meißel, Bilder von demselben Pinsel waren. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich dieser Eindruck verstörte; er schien etwas in mir aufzuwühlen, dessen ich nicht habhaft werden konnte.
Ich ertappte mich dabei, wie meine Augen von ihnen abwanderten in einen der hohen Spiegel, wo ich sie betrachtete, Claudia wie ein leuchtendes Juwel in ihrer Mitte. Und ich fand sie alle ganz schrecklich stumpfsinnig, wie ich sie auch betrachten mochte, ihre funkelnden Vampiraugen eins wie das andere, ihr Witz wie eine eintönige Messingglocke. Lediglich das Wissen, dessen ich bedurfte, lenkte mich von diesen Gedanken ab.
Jetzt sagte Claudia: ›Die Vampire in Osteuropa… gräßliche Ungeheuer - was haben sie mit uns zu tun?‹
›Es sind Geister von Verstorbenen^ sagte Armand leise; doch jeder hörte ihn und schwieg. ›Ihr Blut ist anders, es ist schmutzig. Sie vermehren sich wie wir, aber ohne Geschick, ohne Sorgfalt. In den alten Zeiten -‹ Er brach ab. Ich konnte sein Gesicht im Spiegel sehen. Es war seltsam starr.
›Ach ja, erzähl uns von den alten Zeiten!‹ sagte Celeste. Ihre Stimme war schrill wie die
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