Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
sie nicht ausstehen^ sagte sie zornig, als wir uns dem Hotel näherten. Die große erleuchtete Halle war leer in diesen frühen Morgenstunden. Wir gelangten ungesehen an dem schlafenden Portier vorbei auf unser Zimmer. ›Ich habe in der ganzen Welt nach ihnen gesuchte fuhr Claudia fort, während sie ihren Umhang abwarf, ›und nun dies! Ich verabscheue sie.‹ Eine wahre Regenflut trommelte an die Terrassentür. Ich drehte alle Lichter im Zimmer an, als sei ich Lestat oder Claudia, und warf mich erschöpft in den ersehnten Sessel. Einen Augenblick lang war mir, als lodere das ganze Zimmer um mich herum; und als ich das Gemälde mit dem vergoldeten Rahmen betrachtete, das pastellfarbene Bäume und klare Wasser zeigte, war der Vampirzauber gebrochen. Hier waren wir vor ihnen sicher, dachte ich; aber ich wußte, daß es eine Lüge war, eine törichte Lüge.
›Ich bin in Gefahr, in Gefahr!‹ sagte Claudia in ihrer schwelenden Wut.
›Wie können sie wissen, was wir mit ihm gemacht haben?‹ sagte ich. ›Im übrigen: Wir sind in Gefahr. Glaubst du einen Moment, daß ich meine eigene Schuld nicht eingestehe? Und selbst wenn du allein…‹ Ich wollte sie umfangen, als sie sich mir näherte, doch sie sah mich mit so wilden Augen an, daß ich die Hände sinken ließ. ›Glaubst du, ich würde dich im Stich lassen?‹
Jetzt lächelte sie. Einen Moment lang traute ich meinen Augen nicht. ›Nein, das würdest du nicht, Louis. Die Gefahr hält dich bei mir…‹
›Die Liebe hält mich bei dir‹, sagte ich sanft.
Sie grübelte. ›Liebe? Was verstehst du unter Liebe?‹ Und dann, als sähe sie die Pein in meinem Gesicht, trat sie zu mir heran und legte mir die Hand auf die Wange.
›Daß du meine Liebe immer als selbstverständlich betrachtest, erwiderte ich. ›Daß wir sozusagen verheiratet sind…‹ Aber noch während ich diese Worte sprach, war ich nicht mehr so sicher wie früher; ich fühlte die Qual, die ich am Abend zuvor empfunden, als sie mich wegen meiner menschlichen Leidenschaft verspottet hatte. Ich wandte mich ab.
›Du würdest mich auf der Stelle verlassen, wenn Armand dich riefe…‹
›Niemals!‹ versicherte ich.
›Du würdest mich verlassen; und er braucht dich, so wie du ihn brauchst. Er hat auf dich gewartet.‹
›Niemals!‹ wiederholte ich und ging zu unserem Sarg. Die Türen waren verschlossen, doch das würde diese Vampire nicht fernhalten. Wir konnten ihnen nur entgehen, wenn wir so früh aufstünden, wie es das Licht gestattete. Ich rief Claudia, und sie kam an meine Seite; ich wollte mein Gesicht in ihrem Haar vergraben, wollte sie um Verzeihung bitten. Denn in Wahrheit hatte sie recht; und doch liebte ich sie, liebte sie wie immer. Und nun, als ich sie an mich zog, flüsterte sie: ›Weißt du, was es war, das er immer wieder zu mir sagte; ohne ein Wort zu sprechen; weißt du, in was für eine Hypnose er mich versetzte, so daß meine Auen nur ihn ansehen konnten und er mich an sich zog, als sei mein Herz an eine Schnur gebunden?‹
›Das also hast du empfunden…‹, flüsterte ich. ›Es war genau das gleiche‹
›Er hat mir alle Kraft genommene sagte sie. Ich sah sie vor mir, wie sie in seinem Zimmer gesessen hatte, ihren gebeugten Nacken, die willenlosen Hände.
›Aber was solltest du sagen?‹ fragte ich. ›Daß er zu dir sprach, daß er…‹
›Ohne Worte!‹ wiederholte sie. Ich hörte die Gasflammen summen, den Regen an die Scheiben klopfen. ›Weißt du, was er sagte?‹ flüsterte sie. ›Daß ich sterben… daß ich dich aufgeben soll!‹
Ich schüttelte den Kopf, und doch fühlte ich in meinem Herzen eine Woge der Erregung. Sie hatte die Wahrheit gesprochen und glaubte daran. Ihre Augen waren verschleiert, gläsern und silbern. ›Er zieht Leben aus mir heraus und in sich hinein‹, sagte sie mit zitternden Lippen. Ich hielt sie umschlungen, doch in ihren Augen standen Tränen. ›Er zieht Leben aus dem Jungen, der Sklave ist. Er zieht Leben aus mir; er will mich zu seiner Sklavin machen. Er liebt dich. Er will dich haben und will nicht, daß ich im Wege stehe.‹
›Du verstehst ihn nicht‹, wandte ich ein und küßte sie. Ich wollte sie mit Küssen bedecken, ihre Wangen, ihre Lippen.
›Ich verstehe ihn nur zu gut!‹ flüsterte sie an meinem Mund, noch während ich sie küßte. ›Du bist es, der ihn nicht versteht. Die Liebe hat dich verblendet, die Faszination seines Wissens, seiner Macht. Wenn du wüßtest, wie er den Tod trinkt, würdest du ihn
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