Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Sorgfalt aus und vergewissern sich, daß die anderen Vampire respektiert bleiben. Es gibt in diesem Haus fünfzehn Vampire, die ihre Zahl ängstlich geheimhalten. Schwache Vampire werden gefürchtet; das muß ich hinzufügen. Man hat gemerkt, daß Sie einen Makel haben: Sie fühlen zuviel, denken zuviel. Der kühle Gleichmut des Vampirs scheint nicht Ihre Sache zu sein, wie Sie selber andeuteten. Und dann dieses geheimnisvolle Mädchen: ein Kind, das nicht erwachsen werden kann, stets auf fremde Hilfe angewiesen bleibt. Ich würde aus diesem Knaben hier niemals einen Vampir machen, wenn sein Leben, das mir teuer ist, in ernster Gefahr wäre; denn er ist zu jung, seine Glieder sind nicht kräftig genug; er hat den Becher seines Lebens kaum gekostet, geschweige denn getrunken. Und da bringen Sie dieses Kind! Was für ein Vampir hat es geschaffen; waren Sie es? Sie kommen mit all diesen Schwächen, mit diesen Rätseln, und schweigen sich darüber aus. Und so kann man Ihnen nicht trauen. Aber es gibt noch einen Grund, einen tieferen als die Gründe, die ich soeben angeführt habe, und das ist ganz einfach der: Als Santiago Ihnen zum ersten Mal im Quartier Latin begegnete, nannten Sie ihn - unglücklicherweise - einen Schwindler, einen Komödianten.‹
›Aaaah‹, sagte ich und lehnte mich zurück.
›Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie überhaupt nichts gesprochen hätten‹, sagte er und lächelte, um sich zu überzeugen, daß auch ich die Ironie verstanden hatte.
Ich dachte über seine Worte nach, doch ebenso schwer lastete auf mir, was ich von Claudia gehört hatte: daß dieser Mann wortlos mit seinen sanften Augen zu ihr gesagt hatte ›Stirb!‹, und darüber hinaus fühlte ich den steigenden Widerwillen gegen die Vampire im Ballsaal da oben. Der Wunsch, mit Armand über diese Dinge zu sprechen, wurde übermächtig. Nicht von Claudias Angst, nein, noch nicht, obwohl ich, wenn ich ihm in die Augen sah, nicht glauben konnte, daß er versucht haben sollte, diese Macht über sie auszuüben. Seine Augen sagten ›Lebe!‹; seine Augen sagten ›Lerne!‹. Ach, und wie gern hätte ich ihm aufs genaueste anvertraut, was ich nicht verstand, wie erstaunt ich, nach jahrelangem Suchen, gewesen wäre zu entdecken, daß die Vampire dort oben aus der Unsterblichkeit einen Verein von schrulliger Abgeschmacktheit gemacht hatten. Und hinter all meiner Verwirrung und Traurigkeit standen die klaren Fragen: Warum sollte es anders sein? Was hatte ich erwartet? Mit welchem Recht war ich von Lestat so enttäuscht gewesen, daß ich ihn sterben ließ? Weil er mir nicht zeigen wollte, was ich in mir selbst finden mußte? Wie hatten doch Armands Worte gelautet? ›Die einzige Kraft, die es gibt, liegt in uns selber.‹
Jetzt sagte er: ›Hören Sie - Sie müssen sich denen fernhalten. Ihr Gesicht kann nichts verbergen. Sie würden alles verraten, wenn ich Sie ausfragte. Schauen Sie mir in die Augen!‹
Ich tat es nicht, sondern heftete meine Blicke auf eins der kleinen Bilder über seinem Schreibtisch, bis es nicht mehr ein Madonnenbild war, sondern nur noch eine Harmonie von Linien und Farben. Denn ich wußte, daß er recht hatte. Dann sagte ich: ›Gebieten Sie ihnen Einhalt, wenn Sie wollen, sagen Sie ihnen, daß wir nichts Böses im Schilde führen. Warum können Sie das nicht tun? Sie sagen selber, wir seien nicht eure Feinde, was immer wir getan haben mögen…‹
Er stieß einen schwachen Seufzer aus. ›Vorläufig habe ich es ihnen verwehrte sagte er. ›Aber ich maße mir keine solche Macht an, die nötig wäre, es ihnen für immer zu untersagen. Denn wenn ich solche Macht ausübte, müßte ich auf der Hut sein; sie würde mir Feinde schaffen, mit denen ich mich ständig herumzuschlagen hätte, während ich hier nichts weiter will als ein wenig Platz, ein wenig Frieden. Oder überhaupt nicht hier sein will. Ich habe gewissermaßen das Zepter angenommen, das sie mir gaben, doch nur, um sie mir ein wenig vom Leibe zu halten, nicht um über sie zu herrschen‹
›Das hätte ich wissen sollen‹, sagte ich, die Augen noch immer auf dem kleinen Madonnenbild.
›Dann müssen Sie fernbleiben‹, sagte er. ›Celeste hat eine gewisse Macht, denn sie ist eine der ältesten, und sie ist eifersüchtig auf die Schönheit des Kindes. Und Santiago, wie Sie sehen können, wartet nur auf einen winzigen Beweis, daß ihr Geächtete, daß ihr Verbrecher seid.‹
Jetzt blickte ich ihn wieder an, wie er so dasaß mit jener unheimlichen
Weitere Kostenlose Bücher