Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Glas. ›Alles, was du sagst, klingt vernünftige sagte er zu mir und trank. ›Du bist ein kluger Kopf, ich bin es nie gewesen. Was ich weiß, habe ich von anderen Leuten gelernt, wenn ich ihnen zuhörte, nicht aus Büchern. Ich bin nicht lange genug zur Schule gegangen. Aber ich bin nicht dumm, und du mußt auf mich hören, weil du in Gefahr bist. Du kennst deine eigene Natur nicht, sondern bist wie ein Erwachsener, der auf seine Kindheit zurückblickt und feststellt, daß er sie nie zu würdigen wußte. Aber du kannst nicht als Mann in die Kinderstube zurückkehren und mit deinen Spielsachen spielen und verlangen, daß dir wieder Liebe und Fürsorge zuteil werde, weil du jetzt erst ihren Wert erkannt hast. So ist es mit dir und deiner sterblichen Natur. Du hast sie aufgegeben. Du blickst nicht mehr durch ein getrübtes Glas. Doch du kannst mit deinen neuen Augen nicht mehr in die Welt menschlicher Wärme zurückkehren.‹
›Das weiß ich nur zu gut‹, sagte ich. ›Aber was ist das - unsere Natur? Wenn ich vom Blut der Tiere leben kann, warum soll ich Tod und Unglück unter menschlichen Wesen verbreiten?‹
›Bist du denn glücklich dabei?‹ fragte er. »Du wanderst durch die Nacht, nährst dich von Ratten wie der Ärmste der Armen und schmachtest wie ein Mondsüchtiger vor Babettes Fenster, von Sorge erfüllt, doch hilflos wie die Göttin, die nachts kam, um Endymion im Schlaf zu sehen und ihn nicht haben konnte. Und selbst wenn du sie in den Armen halten könntest, und sie würde dich ohne Schrecken oder Abscheu anblicken - was dann? Ein paar kurze Jahre, um sie jeden Stachel der Sterblichkeit erleiden und sie dann vor deinen Augen sterben zu sehen? Würde dir das Glück bringen? Das ist Wahnsinn, Louis. Das ist unnütz. Was wirklich vor dir liegt, ist die Vampirexistenz, und das bedeutet Töten. Und ich verbürge mich dafür: Wenn du heute durch die Straßen gehst und eine Frau niederschlägst, so reich und schön wie Babette, und ihr Blut saugst, bis sie zu deinen Füßen niedersinkt - dann wird dich nicht mehr danach dürsten, Babettes Profil im Kerzenlicht zu sehen oder auf ihre Stimme am Fenster zu lauschen. Dann bist du erfüllt, Louis, so wie es dir bestimmt ist, mit all dem Leben, das du halten kannst, und wirst immer von neuem danach Hunger verspüren. Der rote Saft in diesem Glas wird ebenso rot sein, das zarte Rosenmuster auf der Tapete ebenso zart. Und du wirst den Mond ebenso sehen und den Schein der Kerzen. Und mit der gleichen Empfindsamkeit wirst du den Tod in all seiner Schönheit sehen und das Leben, wie man es nur im Augenblick des Todes kennt. Verstehst du das nicht, Louis? Du allein von allen Menschen kannst den Tod ungestraft so sehen. Du allein… unter dem Licht des Mondes… kannst zuschlagen wie die Hand Gottes!‹
Er lehnte sich zurück, leerte sein Glas und ließ seinen Blick über die bewußtlose Frau gleiten. Ihre Brust hob und senkte sich, und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, als käme sie zu sich. Über ihre Lippen drang ein Stöhnen. Nie bisher hatte Lestat so zu mir gesprochen, und ich hätte ihn dessen nicht fähig gehalten. »Vampire müssen töten‹, sagte er. ›Sie sind Raubtiere. Ihre allessehenden Augen sollen ihnen Unabhängigkeit und Teilnahmslosigkeit geben, die Fähigkeit, ein Menschenleben in seiner Ganzheit zu sehen, ohne abgeschmacktes Bedauern, sondern mit der erregenden Genugtuung, das Ende jenes Lebens zu sein und eine Hand in dem göttlichen Spiel zu haben.‹
›So siehst du es‹, wandte ich ein. Das Mädchen stöhnte wieder, ihr Gesicht war sehr weiß, und ihr Kopf rollte von einer Seite zur anderen.
›Nein, so ist es tatsächliche antwortete er. ›Du sprichst davon, andere Vampire zu finden. Vampire sind Mörder! Sie brauchen dich und deine Empfindsamkeit nicht. Sie werden dich sehen, lange bevor du sie siehst, und sie werden deine Schwäche erkennen, dir mißtrauen und versuchen, dich zu töten. Sie würden dich sogar zu töten versuchen, wenn du so wie ich wärst. Denn sie sind einsame Raubtiere und brauchen Gesellschaft ebensowenig wie Katzen im Dschungel. Die hüten eifersüchtig ihr Geheimnis und ihr Territorium, und wenn du tatsächlich zwei oder mehr zusammen treffen solltest, so ist es nur um ihrer Sicherheit willen, und der eine ist der Sklave des anderen, so wie du mein Sklave bist.‹
›Ich bin nicht dein Sklave!‹ widersprach ich. Doch schon während er es gesagt hatte, war mir klar geworden, daß ich genau das die ganze Zeit
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