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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gewesen war.
    ›Das ist die Art, wie Vampire sich vermehren - durch Sklaverei. Wie sonst?‹ Wieder ergriff er das Handgelenk des Mädchens, und sie schrie auf, als das Messer schnitt, und als er ihren Puls über das Glas hielt, öffnete sie langsam die Augen, blinzelte und bemühte sich, sie offenzuhalten. Aber es war, wie wenn ein Schleier darüber läge. ›Du bist müde, nicht wahr?‹ fragte er sie, und sie blickte ihn an, als könne sie nicht richtig sehen. ›Müde!‹ sagte er und beugte sich über sie und starrte ihr in die Augen. ›Du möchtest schlafen.‹ ›Ja…‹, stöhnte sie leise. Und er nahm sie auf und trug sie ins Schlafzimmer, wo unsere Särge standen. Es war auch ein samtdrapiertes Bett da. Doch Lestat legte sie nicht aufs Bett, sondern ließ sie langsam in seinen Sarg gleiten. Ich war ihm bis zur Tür nachgekommen. ›Was tust du?‹ fragte ich. Das Mädchen blickte um sich wie ein erschrecktes Kind.
    ›Nein…‹, stöhnte sie, und als er den Deckel auflegte, schrie sie und schrie weiter, als der Sarg geschlossen war.
    ›Warum tust du das, Lestat?‹ fragte ich.
    ›Weil es mir so gefällt. Es macht mir Freude.‹ Er sah mich an. ›Ich will nicht sagen, daß es dir auch Freude machen soll. Du kannst ja deinen ästhetischen Geschmack feineren Dingen zuwenden. Töte schnell, wenn du willst, aber töte! Lerne, daß du ein Mörder bist! Ach!‹ Er hob angewidert die Hände. Das Mädchen hatte aufgehört zu schreien. Lestat zog einen kleinen Stuhl neben den Sarg, setzte sich und betrachtete mit übergeschlagenen Beinen den Deckel. Es war ein schwarz lackierter Sarg, nicht in der geraden Rechteckform, wie Särge heute sind, sondern an beiden Enden verjüngt und breiter in der Mitte. Er war einer menschlichen Gestalt nachgebildet, die mit über der Brust gefalteten Händen dalag. Jetzt hob sich der Deckel, und das Mädchen setzte sich auf, mit wildem Blick und blauen und zitternden Lippen. ›Bleib liegen, Schätzchen‹, sagte Lestat und drückte sie nieder, und sie lag da, dem Wahnsinn nahe, und starrte ihn an. ›Du bist tot. Liebsten sagte er; und sie schrie wieder und wand sich im Sarg wie ein Fisch, als könne sie an den Seiten oder durch den Boden entkommen. »Das ist ein Sarg, das ist ein Sarg!‹ schrie sie. ›Lassen Sie mich raus!‹
    ›Wir müssen alle eines Tages in einem Sarg liegen‹, sagte Lestat ruhig. ›Lieg still, mein Schatz. Das ist dein Sarg. Die meisten Menschen wissen nicht, wie es ist, im Sarg zu liegen. Du weißt es jetzt.‹ Ich glaube nicht, daß sie ihm zuhörte, denn sie sah mich in der Tür stehen und rief; ›Helfen Sie mir!‹
    Lestat blickte mich an. ›Ich hatte erwartete, sagte er, ›du fühlst diese Dinge instinktiv wie ich. Als ich dir das erste Opfer zu töten gab, dachte ich, du würdest nach dem nächsten dürsten und wieder nach dem nächsten und daß du jedes menschliche Leben angehen würdest, um dich satt zu trinken, so wie ich. Aber du hast mich enttäuscht. Und die ganze Zeit unterließ ich es, dich zurechtzubiegen. Ich habe dir zugesehen, wie du nachts Schatten gespielt und in den Regen gestarrt hast, und ich dachte, er ist leicht zu lenken, er ist einfach. Aber du bist schwach, Louis, du bist ein Gimpel, für Vampire und auch jetzt für Menschen gleichermaßen. Die Sache mit Babette hat uns beide in eine gefährliche Lage gebracht. Als ob du es darauf anlegtest, uns beide zu vernichten.‹
    ›Ich kann nicht mit ansehen, was du tust‹, sagte ich und wandte mich ab. Die Augen des Mädchens brannten mir ins Fleisch; die ganze Zeit, während Lestat sprach, hatte sie mich angestarrt.
    ›Du kannst es nicht ertragen! Gestern abend habe ich dich bei dem Kind gesehen. Du bist ein Vampir, genau wie ich.‹
    Er stand auf, um zu mir zu treten, doch das Mädchen richtete sich wieder auf, und er drückte sie sanft zurück. ›Sollen wir einen Vampir aus ihr machen, was meinst du?‹ fragte er mich. ›Soll sie unser Leben teilen?‹
    Ich sagte sofort: ›Nein!‹
    ›Warum nicht? Weil sie bloß eine Hure ist? Eine verdammt kostspielige Hure übrigens.‹
    ›Kann sie am Leben bleiben ?‹ fragte ich. ›Oder hat sie zu viel Blut verloren?‹
    ›Wie rührend! Nein, sie kann nicht am Leben bleiben.‹
    ›Dann töte sie!‹ Wieder begann die Frau zu schreien. Er saß dabei, lächelnd und wie unbeteiligt. Jetzt drückte sie ihr Gesicht in das Seidenkissen. All ihr Verstand war fast gänzlich von ihr gewichen; und sie schluchzte und betete abwechselnd.

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