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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sie. ›Puppe, kleine Puppe‹, sagte ich zu ihr. Das war sie auch, eine Zauberpuppe. Gelächter und ein unendlicher Verstand, und dazu das runde Gesichtchen, der Knospenmund.
    ›Laß mich dein Haar bürsten, dich anziehen^ sagte ich aus alter Gewohnheit zu ihr und wußte, sie würde jetzt lächeln, und über ihr Gesicht würde sich ein dünner Schleier der Langeweile legen. ›Tu, was du willst‹, hauchte sie mir ins Ohr, als ich mich niederbeugte, um ihre Perlohrringe zu befestigen. ›Nur geh mit mir heute nacht töten. Ich habe dich noch nie töten sehen, Louis.‹
    Eines Tages wollte sie einen eigenen Sarg zum Schlafen, und das verletzte mich mehr, als ich ihr zeigen wollte. Ich ging aus dem Haus, nachdem ich mein Kavaliersversprechen gegeben hatte - wie viele Jahre hatte sie bei mir geschlafen, als wäre sie ein Stück von mir! Dann fand ich sie in der Nähe des Ursulinenklosters, wie ein Waisenkind, das sich in der Dunkelheit verloren hat, und sie lief plötzlich auf mich zu und klammerte sich in geradezu menschlicher Verzweiflung an mich. ›Ich will es nicht, wenn es dich kränkt‹, flüsterte sie so leise, daß ein Mensch weder ihre Worte gehört noch ihren Atem gespürt hätte. ›Ich will immer bei dir bleiben. Aber ich muß ihn sehen, verstehst du nicht? Einen Sarg für ein Kind.‹
    Wir sollten zu einem Sargtischler gehen, schlug sie vor. Ein Theaterstück, eine Tragikomödie in einem Akt: Ich sollte sie in einem kleinen Vorraum zurücklassen und zu dem Mann in seiner Werkstatt sagen, sie müsse sterben, aber sie dürfe es nicht wissen, und sie solle den besten Sarg haben, den er machen könne. Und der Sargtischler, von der Tragö die erschüttert, müsse ihn anfertigen, und er würde sich vorstellen, wie sie auf dem weißen Satin läge, und sich verstohlen eine Träne aus dem Auge wischen…
    ›Aber warum, Claudia?‹ fragte ich flehend. Ich hatte einen Abscheu davor; es widerstrebte mir, mit dem hilflosen Menschen Katz und Maus zu spielen. Doch als ihr hoffnungsloser Liebhaber nahm ich sie mit zu dem Sargtischler und ließ sie im Vorzimmer auf dem Sofa zurück, wo sie mit im Schoß gefalteten Händen sitzen blieb, den Kopf mit dem Häubchen züchtig geneigt, als wisse sie nicht, was wir hinter der Tür flüsterten. Der Tischler, ein alter und grauhaariger Mann, fragte:
    ›Aber warum muß sie sterben?‹, als sei ich der liebe Gott, der es beschlossen habe. ›Ihr Herz‹, antwortete ich, ›sie kann nicht mehr leben‹, und die Worte nahmen für mich eine eigentümliche Kraft, einen beunruhigenden Klang an. Das Mitleid in dem faltigen Gesicht des Alten irritierte mich; etwas kam mir in Erinnerung, ein matter Lichtschein, eine Handbewegung, ein Ton… ein Kind, das in einem stickigen Zimmer weinte. Nun führte mich der Mann in sein Lager und zeigte mir die Särge, schwarzer Lack mit Silber beschlagen, so wollte sie es. Und plötzlich, ich wußte nicht wie, ergriff ich die Flucht, nahm Claudia bei der Hand und eilte aus dem Sargmagazin. ›Der Sarg ist bestellte sagte ich. ›Es macht mich ganz verrückt!‹ Ich atmete die frische Luft auf der Straße, als sei ich am Ersticken, und dann sah ich, wie sie mich teilnahmslos betrachtete. Sie legte ihre kleine behandschuhte Hand in meine und sagte geduldig:
    ›Ich möchte es, Louis.‹
    Und eines Nachts stieg sie, von Lestat begleitet, die Treppe zur Werkstatt des Sargtischlers hinauf, und sie holten den Sarg und ließen den alten Mann, der nicht wußte, wie ihm geschah, tot vor seinem Pult liegen, an dem er gesessen hatte. Dann stand der Sarg in unserem Schlafzimmer, wo Claudia ihn oft betrachtete, als wäre er lebendig und könne ihr nach und nach Geheimnisse verraten. Aber sie schlief nicht darin; sie schlief weiter bei mir.
    Noch andere Veränderungen gingen in ihr vor; ich weiß nicht mehr, wann und in welcher Reihenfolge. Claudia tötete nicht wahllos. Sie verfiel in äußerst eigene Gewohnheiten. Sie ging dazu über, sich für die armen Leute zu interessieren; sie faszinierten sie, und sie bat Lestat, einen Wagen zu nehmen und durch den Faubourg Sainte-Marie zu den Häusern am Fluß zu fahren, wo die Einwanderer wohnten. Sie schien ganz versessen auf die Frauen und Kinder. Lestat erzählte es mir belustigt; denn ich war es leid, sie zu begleiten. Aber Claudia hatte sich dort eine Familie ausgesucht, die sie überfiel, einen nach dem anderen. Und sie hatte darum gebeten, mit mir oder Lestat auf den

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