Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Es war ein wichtiges Fest für New Orleans, das einem Fremden als Feier des Todes erscheinen mochte, doch es war eine Feier des Lebens nach dem Tode. ›Ich habe sie da von einem Blumenhändler gekaut«, sagte Claudia. Ihre Stimme war sanft und unergründlich, ihre Augen undurchdringlich und unbewegt.
›Für die beiden, die du in der Küche gelassen hast?‹ fragte Lestat höhnisch. Sie wandte sich ihm zu, zum ersten Mal, sagte jedoch nichts, und sah ihn an, als habe sie ihn vorher nie gesehen. Ich trat vor. Ich konnte seinen Zorn spüren. Ihre Kälte. Und dann trat sie ein paar Schritte näher und blickte ihm ins Gesicht, als wolle sie etwas erforschen. Und jetzt sah sie mich an, und dann von einem zum anderen, bis sie fragte: ›Wer von euch hat es getan? Wer von euch hat aus mir das gemacht, was ich bin?‹
Ich hätte nicht erstaunter sein können. Und doch war es unvermeidlich, daß sie ihr langes Schweigen auf diese Weise brechen würde. Aber ich schien ihr weniger von Belang, denn ihre Augen blieben schließlich auf Lestat haften. ›Du sprichst von uns, als hätten wir schon immer so existiert wie jetzt‹, sagte sie ruhig und bestimmt, und ihre Kinderstimme klang ernst wie die einer erwachsenen Frau. ›Du sprichst von denen da draußen als Sterblichen, von uns als Vampiren. Aber es war nicht immer so. Louis hatte im sterblichen Leben eine Schwester, ich weiß es. Er hat ein Bild von ihr in seinem Schrank; ich habe gesehen, wie er es anschaute, Er war ebenso sterblich wie sie, und ich auch! Woher hätte ich sonst diese Gestalt?‹ Sie breitete die Arme aus und ließ die Blumen zu Boden fallen. Ich flüsterte ihren Namen, aber vergebens. Der Wendepunkt war erreicht. Lestats Augen leuchteten fasziniert, als genösse er ein boshaftes Vergnügen.
›Du hast aus uns das gemacht, was wir sind, nicht wahr?‹ fragte sie ihn anklagend.
Er hob die Augenbrauen in spöttischem Erstaunen. ›Was du bist?‹ fragte er. ›Und ob du etwas anderes sein würdest als das, was du jetzt bist!‹ Er zog seine Beine an, beugte sich nach vorne und kniff die Augen zusammen. ›Weißt du, wie lange es her ist? Kannst du dir vorstellen, wie du jetzt aussehen würdest, wenn ich dich in Ruhe gelassen hätte? Soll ich dir eine alte Hexe bringen, damit du dein sterbliches Ebenbild erkennst?‹
Sie kehrte ihm den Rücken zu, blieb einen Augenblick unschlüssig stehen und ging dann zu dem großen Kaminsessel, kletterte hinauf, hockte sich hinein wie ein hilfloses Kind und starrte ins Feuer. Aber ihr Blick hatte nichts Hilfloses; ihre Augen strahlten ein eigenes Leben aus, als sei ihr Körper besessen.
›Du könntest jetzt tot sein, wenn du sterblich wärst‹, fuhr Lestat fort, von ihrem Schweigen irritiert. Er schwenkte die Beine herum und setzte seine Füße auf den Boden. ›Hörst du mir zu? Weshalb stellst du mir eine solche Frage? Warum machst du so ein Getue darum? Du hast dein ganzes Leben lang gewußt, daß du ein Vampir bist.‹ Und so redete er unausgesetzt weiter und wiederholte die gleichen Dinge, die er mir viele Male gesagt hatte: Erkenne deine Natur, töte und sei, was du bist. Mir schien das alles ziemlich abwegig, denn Claudia hatte beim Töten niemals Skrupel gehabt. Jetzt lehnte sie sich zurück und drehte langsam den Kopf, so daß sie Lestat besser sehen konnte, und studierte ihn abermals, als sei er eine Marionette. ›Hast du es mit mir gemacht? Und wie?‹ fragte sie, und ihre Augen zogen sich zusammen. ›Wie hast du es gemacht?‹
›Warum soll ich es dir sagen?‹ erwiderte er. ›Das ist nun einmal meine Macht.‹
›Deine allein? Wieso?‹ fragte sie hartnäckig weiter, mit kalter Stimme und herzlosen Augen. ›Wie ist es geschehen?» verlangte sie mit plötzlich erhobener Stimme zu wissen.
Das schlug wie der Blitz ein. Lestat sprang wütend auf, und auch ich erhob mich. ›Stopf ihr den Mund!‹ rief er mir händeringend zu. ›Mach etwas mit ihr! Ich kann sie nicht ertragend
Dann ging er zur Tür, kehrte jedoch um und stellte sich dicht vor Claudia hin, so daß er sie wie ein Turm überschattete. Sie blickte furchtlos zu ihm auf und ließ die Augen ungerührt über sein Gesicht hin und her gehen. ›Ich kann rückgängig machen, was ich getan habe. Bei dir und bei ihm‹, sagte er und zeigte auf mich. ›Seid froh, daß ich aus euch das gemacht habe, was ihr seid. Sonst reiße ich euch in tausend Stücke!«
»Der Frieden im Hause war zerstört, wenn auch äußerlich Ruhe herrschte. Die Tage
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