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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Friedhof der Vorstadt Lafayette zu gehen und die Grabgewölbe auf der Suche nach jenen verzweifelten Männern zu durchstreifen, die keine andere Schlafstätte fanden und dort Unterschlupf suchten, nachdem sie ihr letztes Geld vertrunken hatten. Lestat war zutiefst beeindruckt, ja hingerissen, und malte begeistert Claudias Bild. ›Kind Tod‹, nannte er sie, und ›Schwester Tod‹ und ›Süßer Tod‹, und mir gab er, mit einer spöttischen Verbeugung, den Namen ›Gütiger Tod‹. Er sagte es wie eine Frau, die in die Hände klatscht und ›Gütiger Himmel!‹ ausruft. Ich hätte ihn am liebsten erwürgt. Aber es gab keinen Streit, wir beherrschten uns. Jeder hatte, was er brauchte.
    Unsere große Wohnung war vom Boden bis zur Decke mit Büchern angefüllt, Hunderte von Reihen goldschimmernder Lederbände; Claudia und ich gingen unseren Neigungen nach, und Lestat setzte seine kostspieligen Einkäufe fort. Bis sie Fragen zu stellen begann…«

    Der Vampir schwieg. Und auch der Junge schaute so unruhig wie zuvor drein, als erfordere Geduld die größte Anstrengung. Aber der Vampir legte die Spitzen seiner langen weißen Finger wie zu einem gotischen Bogen zusammen, dann drückte er die Handteller aneinander, als habe er den Jungen ganz vergessen. »Ich hätte wissen sollen«, begann er von neuem, »daß es unvermeidbar war, und ich hätte die Zeichen sehen müssen. Denn ich war so auf sie eingestimmt; ich liebte sie ganz und gar; sie war so sehr die Gefährtin jeder meiner wachen Stunden, der einzige Gefährte, den ich hatte, außer dem Tode. Ich hätte es wissen müssen. Aber etwas in mir war sich eines ungeheuren dunklen Abgrundes neben uns bewußt, als gingen wir stets auf einer steilen Klippe und würden es plötzlich sehen, doch zu spät, wenn wir den falschen Schritt täten oder zu tief in unseren Gedanken verloren wären. Abgesehen von jener Dunkelheit erschien mir die materielle Welt um mich herum zuweilen unwirklich. Als öffne sich die Erde und ich könnte eine große Spalte längs der Rue Royale sehen, und alle Häuser zerfielen zu Staub in einem großen Erdbeben. Doch das Schlimmste war, sie waren transparent, hauchdünn, wie Bühnenvorhänge aus Seide. Ach… ich bin zerstreut. Was sagte ich? Daß ich die Zeichen nicht erkannte, daß ich mich verzweifelt an die Glückseligkeit klammerte, die sie mir gegeben hatte. Und noch gab, und alles andere sah ich nicht.
    Aber da waren die Zeichen. Sie wurde kalt zu Lestat und starrte ihn manchmal lange an; doch wenn er zu ihr sprach, antwortete sie nicht, und man konnte nicht sagen, ob es Verachtung war oder ob sie ihn nicht hörte. Und mit unserer zerbrechlichen häuslichen Ruhe war es vorbei, als er die Fassung verlor. Er brauche keine Liebe, sagte er, aber er wolle auch nicht ignoriert werden, und einmal drohte er ihr Schläge an, und ich fand mich wieder in der mißlichen Lage, ihn anzugreifen wie vor Jahren, ehe Claudia zu uns gekommen war. ›Sie ist kein Kind mehr‹, flüsterte ich ihm zu. ›Ich weiß nicht, was es ist. Sie ist jetzt eine Frau.‹ Ich beschwor ihn, er solle es leichtnehmen, und er heuchelte Verachtung und ignorierte sie nun seinerseits. Doch eines Abends kam er aufgeregt herein und berichtete mir, sie sei ihm gefolgt - obwohl sie sich geweigert hatte, mit ihm töten zu gehen, war sie ihm später doch nachgegangen. ›Was ist nur mit ihr los!‹ fuhr er mich an, als hätte ich sie geboren und müßte es wissen.
    Und dann verschwanden eines Nachts unsere Dienstboten. Zwei der besten Mädchen, die wir je gehabt hatten, Mutter und Tochter. Der Kutscher wurde zu ihrem Haus geschickt, doch konnte er auch nur melden, daß sie nicht da waren; und dann stand der Vater vor unserer Tür und klopfte. Er stand etwas abseits auf dem steinernen Trottoir und sah mich mit tiefem Argwohn an, der früher oder später allen Sterblichen in die Augen stieg, die uns längere Zeit kannten, eine Ahnung von Tod, so wie die Blässe des Gesichtes ein verhängnisvolles Fieber anzeigt; und ich versuchte, ihm zu erklären, daß sie heute nicht gekommen seien, weder Mutter noch Tochter, und wir sie suchen lassen müßten.
    ›Das ist sie gewesen!‹ zischte Lestat, als ich die Gartentür hinter mir schloß. ›Sie hat ihnen etwas angetan und uns in Gefahr gebracht. Ich werde sie schon zum Reden bringen!‹ Und er ging die Treppe hinauf. Ich wußte, daß Claudia sich davongemacht hatte, hinausgeschlüpft war, als ich an der Gartentür stand, und noch etwas

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