Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
vergingen, und Claudia stellte keine Fragen mehr, doch von nun an vertiefte sie sich in okkultistische Bücher, Bücher über Hexen und Hexenzauber und über Vampire. Das meiste war Phantasie, wie du dir denken kannst, Mythologie und ausgedachte Geschichten, romantische Schauerromane. Doch sie las das alles, oft bis zum Morgengrauen, so daß ich sie holen mußte, um sie zu Bett zu bringen.
Lestat engagierte einen Butler und ein Hausmädchen und bestellte Handwerker, die im Hof einen großen Brunnen bauten, mit einer steinernen Nymphe, die pausenlos Wasser aus einer breiten Muschel goß. Er schaffte Goldfische an, ließ Wasserlilien in den Brunnen pflanzen, so daß ihre Blüten auf dem Wasser ruhten und im Mondschein schimmerten.
Eines Nachts wurde er von einer Frau beobachtet, als er in der Nyades Road tötete, der Straße, die zur Stadt Carrolton führte, und es erschienen Geschichten darüber in den Zeitungen, die ihn mit einem benachbarten Spukhaus in Verbindung brachten. Es amüsierte ihn, eine Zeitlang der Geist von Nyades Road zu sein, bis es allmählich in Vergessenheit geriet. Dann verübte er einen weiteren grausigen Mord auf einem anderen öffentlichen Platz und gab der Phantasie von New Orleans neue Nahrung. Doch ein wenig bekam er es auch mit der Angst zu tun. Er war nachdenklich, argwöhnisch, und fragte mich ständig, wo Claudia sei, wohin sie gegangen und was sie täte.
›Sie wird sich schon wieder fangen‹, versicherte ich, obwohl ich es nicht wissen konnte, denn sie war mir fremdgeworden; und ich litt darunter, als wäre sie meine Braut. Sie sah mich kaum noch an, so wie sie vorher Lestat übersehen hatte, und war imstande, einfach fortzugehen, wenn ich mit ihr sprach.
›Das möchte ich ihr auch geraten haben‹, sagte er tückisch.
›Und was willst du machen, wenn sie es nicht tut?‹ fragte ich mehr ängstlich als vorwurfsvoll.
Er sah mich mit seinen kalten grauen Augen an. ›Du kümmerst dich um sie, Louis. Du sprichst zu ihr!‹ sagte er. ›Alles ist so gut gegangen, und nun das! Das war nicht nötig.‹
Aber es war mein eigener Entschluß, daß ich sie zu mir bat, und sie kam. Es war früh am Abend, und ich war gerade aufgewacht. Im Haus war es dunkel. Sie stand am Fenster in einem Kleid mit Puffärmeln und rosefarbener Schärpe und schaute auf den abendlichen Verkehr in der Rue Royale. Ich konnte hören, wie Lestat in seinem Zimmer Wasser aus dem Krug in die Waschschüssel goß. Der vage Duft seines Eau de Cologne schwebte heran und schwand wie die Musik aus dem benachbarten Cafe. Ich konnte Lestat in seinem Zimmer hören, der sich zu seinem Ausgang fertigmachte. ›Er wird mir nichts erzählen‹, sagte sie leise. Sie mußte bemerkt haben, daß ich die Augen geöffnet hatte. Ich stand auf und trat neben sie, und sie sagte: ›Du wirst es mir sagen, nicht wahr? Wie es vor sich ging.‹
›Ist es wirklich das, was du wissen willst?‹ fragte ich und versuchte, ihr Gesicht zu erkennen. ›Oder vielmehr das, warum es mit dir geschah… und was du vorher warst? Mir ist nicht klar, was du unter wie verstehst, denn wenn du meinst, wie es gemacht wurde, so daß du es ebenfalls tun kannst…‹
›Ich weiß nicht einmal, was es ist‹, erwiderte sie mit einer gewissen Kälte. Dann jedoch wandte sie sich mir voll zu und legte die Hände auf mein Gesicht. ›Komm mit mir töten heute nacht‹, flüsterte sie sinnlich wie eine Liebende. ›Und sage mir alles, was du weißt. Was sind wir? Warum sind wir nicht wie sie?‹ Sie zeigte auf die Straße hinunter.
›Ich weiß keine Antworten auf deine Fragen‹, sagte ich. Ihr Gesicht zog sich zusammen, als hätte sie Mühe, meine Worte über einem plötzlichen Geräusch zu hören. Dann schüttelte sie den Kopf, doch ich sprach weiter. ›Ich frage mich die gleichen Dinge wie du. Ich weiß es nicht. Wie ich gemacht wurde, kann ich dir ungefähr sagen… Lestat hat es getan. Aber das wirkliche Wie daran, das weiß ich nicht.‹ Ihr Gesicht war noch immer angespannt. Ich sah darin die ersten Spuren der Furcht oder etwas Schlimmeres und Tieferes als Furcht. ›Claudia‹, sagte ich, legte meine Hände auf ihre und drückte sie sanft an meine Wangen, ›stelle diese Fragen nicht. Du bist zahllose Jahre lang meine Gefährtin gewesen in meiner Suche nach sterblichem Leben und sterblicher Schöpfung. Sei jetzt nicht meine Gefährtin in dieser Unruhe. Lestat kann uns nicht die Antworten geben. Und ich habe auch keine.‹
Ich verstand, daß sie dies
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