Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
wir in die engen, ärmlichen, Gassen gelangten, wo es keine Gärten gab und nur aus den Steinritzen grünes Unkraut wucherte. Ich hörte das Stakkato von Claudias Schuhen an meiner Seite; sie hielt mit mir Schritt und bat mich nicht, langsamer zu gehen, bis wir schließlich in einer kleinen Straße haltmachten, wo einige alte französische Häuschen mit schrägem Dach zwischen spanischen Prachtfassaden stehengeblieben waren. Das Haus stand noch da, ich hatte es blindlings gefunden, hatte immer gewußt, wo es war, und es gemieden, war stets an der dunklen, lampenlosen Ecke umgekehrt, um nicht an dem niedrigen Fenster vorbei zu müssen, wo ich Claudia hatte weinen hören. Kreuz und quer über die Gasse hing Wäsche träge auf gespannten Leinen, Unkraut wucherte um das niedrige Fundament, und die beiden Fenster des Schlafzimmers waren zerbrochen und mit Lumpen abgedichtet. Ich berührte die Fensterläden. ›Hier habe ich dich zuerst gesehene sagte ich zu Claudia, die geduldig zu mir aufsah. Ich dachte, ich könnte es ihr so erzählen, daß sie es verstehen würde, doch da war wieder ihr kühler, distanzierter Blick. ›Ich hörte dich weinen. Du warst hier in einem Zimmer bei deiner Mutter. Und deine Mutter war tot, seit Tagen schon, aber du wußtest es nicht. Du klammertest dich an sie, wimmertest und weintest erbärmlich, und dein Leib war weiß und fiebernd und hungrig. Du versuchtest sie vom Tode zu erwecken, du umarmtest sie, wolltest sie wärmen. Es war fast Morgen, und…‹ Ich legte die Hände an die Schläfen. ›Ich öffnete die Läden… stieg ins Zimmer. Ich fühlte Mitleid mit dir… aber noch etwas anderes.‹
Claudia preßte die Lippen aufeinander. Ihre Augen weiteten sich. ›Du… hast mein Blut gesaugt?‹ flüsterte sie. ›Ich war dein Opfer!‹
›Ja!‹ erwiderte ich. ›Ich habe es getan.‹
Die nächsten Augenblicke kamen mir so lang und qualvoll vor, daß ich es kaum ertragen konnte. Claudia stand regungslos im Schatten des Hauses, und in ihren großen Augen schien sich alles Licht zu sammeln. Die warme Luft stieg plötzlich mit einem leisen Säuseln auf. Und dann begann sie zu laufen. Ich hörte das Klappern ihrer Schuhe, als sie lief und lief und lief. Ich stand wie gebannt und hörte das Geräusch leiser werden, und die Angst wuchs ins Ungeheuerliche, und dann raffte ich mich auf und eilte ihr nach. Ich mußte sie einholen, mußte ihr sagen, daß ich sie liebte, mußte sie haben und halten, und in jeder Sekunde, die ich in der dunklen Straße hinter ihr herlief, dachte ich, sie wird mir entkommen, und mein Herz revoltierte gegen die ungewohnte Anstrengung und schlug wie ein Schmiedehammer. Bis ich plötzlich anhielt. Da stand sie, unter einer Laterne, und starrte mich wortlos an, als kenne sie mich nicht. Ich legte die Hände um ihre Taille und hob sie in den Lichtschein. Sie sah mich an, mit verzerrtem Gesicht, und drehte den Kopf beiseite, als müsse sie einen aufsteigenden Widerwillen bekämpfen. ›Du hast mich getötete flüsterte sie, ›du hast mir das Leben genommen!‹
›Ja‹, sagte ich und drückte sie an mich, so daß ich ihr Herz schlagen hörte. ›Ich versuchte jedenfalls, es zu nehmen, es auszutrinken. Aber du hattest ein Herz wie kein anderes, ein Herz, das nicht aufhörte zu schlagen, bis ich von dir ablassen mußte, sonst hätte mein eigenes Herz so schnell geschlagen, daß ich daran gestorben wäre. Und Lestat hat mich ertappt und verspottet: Louis, der Schwärmer, der Schwachkopf, der sich an einem goldlockigen Kind gütlich tut, einer heiligen Unschuld! Aber er holte dich aus dem Hospital, wohin sie dich brachten, und ich bin nie dahintergekommen, was er damit beabsichtigte, es sei denn, mich meine eigene Natur erkennen zu lehren. ›Nimm sie, mach sie fertige sagte er. Und ich fühlte erneut diese Leidenschaft für dich. Ach, ich weiß, jetzt habe ich dich für immer verloren. Ich sehe es in deinen Augen. Du siehst mich an, so wie du Sterbliche ansiehst, von ganz oben, aus einer Region kalten Dünkels, die ich nicht verstehe. Aber ich tat es; ich fühlte in mir aufs neue den gierigen, unersättlichen Hunger nach deiner Haut, deinen Wangen, deinem pochenden Herzen. Du warst rosig und duftig, süß und würzig, wie die Kinder der Sterblichen sind. Ich ergriff dich und nahm dich noch einmal. Und als ich dachte, dein Herz würde mich töten, und mich nicht darum scherte, wurden wir von Lestat getrennt, und er schnitt sich die Ader auf und gab dir sein Blut zu
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