Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
nicht einfach hinnehmen konnte, aber ein solch jähes Abwenden hatte ich nicht erwartet, nicht die Heftigkeit, mit der sie sich einen Augenblick an den Haaren zog und es sofort unterließ, als sei diese Geste dumm und sinnlos. Es erfüllte mich mit bösen Ahnungen. Jetzt blickte sie auf den Himmel hinaus; er war bedeckt, sternenlos, und die Wolken zogen schnell vom Fluß herüber. Sie bewegte plötzlich die Lippen, als habe sie sich darauf gebissen, dann flüsterte sie mir zu: ›Dann hat er mich also gemacht… er war es… nicht du!‹ Ihr Gesichtsausdruck harte etwas so Drohendes, daß ich mich von ihr abwandte, ohne es zu wollen. Ich stellte mich an den Kamin und zündete eine Kerze vor dem großen Spiegel an. Und dann sah ich etwas, das mich entsetzte; zuerst war es wie eine scheußliche Maske in dem dämmrigen Licht, dann wurde es körperlich und deutlich: der Totenschädel auf seinem Regalplatz. Ich starrte ihn an. Er roch noch schwach nach Erde, obwohl er sauber geputzt schien. ›Warum antwortest du mir nicht?‹ fragte Claudia. Ich hörte, wie Lestats Tür sich öffnete; nun würde er auf die Jagd gehen. Ich nicht. Ich wollte die ersten Stunden des Abends, wo der Hunger in mir wuchs, in Ruhe verstreichen lassen, bis der Drang so stark würde, daß ich mich allem um so vollkommener hingeben könnte.
Ich fühlte mein Herz schlagen, als sie mit deutlicher Stimme ihre Frage wiederholte, als schwebten ihre Worte in der Luft wie der Widerhall einer Glocke. ›Er hat mich geschaffen, natürlich. Er hat es ja selber gesagt. Aber du verbirgst etwas vor mir; etwas, das er andeutet, wenn ich ihn frage. Er sagt, ohne dich wäre es nicht möglich gewesen.‹
Noch immer starrte ich den Schädel an und empfand ihre Worte wie eine Züchtigung, als schlüge sie mich, damit ich mich umdrehte und den Schlägen entgegenträte. Mich durchfuhr ein Gedanke, doch es war mehr ein Kälteschauer als ein Gedanke, daß auch von mir nichts als ein solcher Schädel übrigbleiben sollte. Ich wandte mich und sah im licht der Straße Claudias Augen wie zwei dunkle Flammen in ihrem weißen Gesicht. Eine Puppe, der jemand grausam die Augen genommen und durch ein dämonisches Feuer ersetzt hatte. Ich trat auf sie zu und flüsterte ihren Namen, und irgendein Gedanke formte sich auf meinen Lippen. Sie griff nach ihrem Hut und Mantel. Auf dem Boden lag ein kleiner Handschuh, im Dunkel phosphoreszierend, und einen kurzen Augenblick lang dachte ich, es sei eine abgetrennte kleine Hand.
›Was ist los mit dir?‹ fragte sie und trat näher und blickte mir ins Gesicht. ›Was ist denn immer mit dir los gewesen? Warum starrst du den Schädel so an, warum den Handschuh?‹ fragte sie sanft, doch nicht sanft genug. In ihrer Stimme war eine leise Berechnung, eine ungreifbare Kühle.
›Ich brauche dich‹, sagte ich zu ihr, ohne es zu wollen. ›Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Du bist mein einziger Gefährte in der Unsterblichkeit.‹
›Aber es muß bestimmt noch andere geben‹, sagte sie. ›Wir sind doch nicht die einzigen Vampire auf der Erde!‹ Ich hörte sie sprechen, was ich selber einmal gesagt hatte, hörte meine eigenen Worte zu mir zurückkommen auf der Flutwelle ihres selbstbewußten Wissensdranges. Doch sie empfindet keinen Schmerz dabei, kam mir plötzlich in den Sinn. Es ist Hartnäckigkeit, herzlose Hartnäckigkeit. ›Bist du nicht genau so wie ich?‹ Sie sah mich an. ›Du hast mich doch alles gelehrt, was ich weiß!‹
Ich hob den Handschuh auf. ›Lestat hat dich zu töten gelehrte sagte ich. ›Hier.. komm… laß uns ausgehen. Ich möchte ausgehen…‹, stammelte ich und versuchte, ihr die Handschuhe anzuziehen, hob ihre Locken und legte sie über den Mantelkragen. ›Aber du hast mich gelehrt zu sehen!‹ sagte sie. ›Du lehrtest mich das Wort Vampiraugen. Du lehrtest mich, die Welt zu trinken und nach mehr zu dürsten…‹
›Ich habe das Wort Vampiraugen nicht so gemeinte erwiderte ich. ›E» klingt anders, wenn du es sagst… Komm‹, bat ich sie: ›ich muß dir etwas zeigen.‹ Und ich führte sie schnell aus dem Zimmer hinaus, die Treppe hinunter und durch den dunklen Hof. Aber ich wußte nicht, was ich ihr zeigen wollte, nicht mehr als ich wußte, wohin ich mit ihr ging. Nur daß ich mich instinktiv darauf zu bewegte.
Wir eilten durch die Stadt; der frühe Abendhimmel war jetzt wolkenlos und blaßviolett, die Sterne waren noch klein und schwach und die Luft um uns feucht und duftend, auch als
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