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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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trinken. Und du hast getrunken, getrunken und getrunken, bis du ihn fast ausgeleert hattest und er taumelte. Von da an warst du ein Vampir. Und noch in derselben Nacht hast du Menschenblut getrunken und jede Nacht danach.‹
    Ihr Gesicht hatte sich nicht verändert. Die Haut war wie das Wachs elfenbeinfarbener Kerzen, nur die Augen zeigten Leben. Es war nichts mehr zu sagen. Ich setzte sie nieder. ›Ja, ich habe dein Leben genommene sagte ich. ›Und er hat es dir zurückgegeben.‹
    ›Und hier ist es‹, antwortete sie flüsternd. ›Und ich hasse euch beide!«

    »Aber warum haben Sie es ihr gesagt?« fragte der Junge nach einer respektvollen Pause.
    »Wie hätte ich es ihr länger verschweigen können?« Der Vampir blickte leicht erstaunt auf. »Sie mußte es wissen. Sie mußte das eine gegen das andere abwägen. Es war ja nicht so, daß Lestat sie aus dem vollen Leben genommen hatte, so wie mich - sie war ja von mir heimgesucht worden, und sie wäre sonst gestorben. Es hätte kein sterbliches Leben mehr für sie gegeben. Aber was ist der Unterschied? Es ist für uns alle doch nur eine Sache der Jahre, das Sterben. Sie hat nur anschaulicher gesehen, was alle Menschen wissen: daß der Tod unvermeidlich kommt, es sei denn - man wählt dies!« Er öffnete seine weißen Hände und betrachtete die Handflächen. »Und haben Sie Claudia verloren? Ist sie fortgegangen?« »Fortgegangen! Wohin hätte sie gehen sollen? Sie war doch ein Kind, nicht größer als so! Wer hätte sie aufgenommen? Hätte sie in einer Höhle hausen können wie ein Vampir aus dem Mythos, tagsüber in Gesellschaft von Würmern und Ameisen und nachts auf der Jagd auf irgendeinem kleinen Friedhof? Aber das war nicht der Grund, weshalb sie blieb. Etwas in ihr war mir wesensverwandt, und mit Lestat verhielt es sich nicht anders. Wir konnten nicht ertragen, allein zu leben; wir brauchten unsere kleine Gemeinschaft! Um uns war eine Wildnis von Sterblichen, hilflos und blind und verdammt, Bräute und Bräutigame des Todes.
    ›In Haß aneinandergekettet‹, sagte sie später leise zu mir. Ich fand sie vor dem leeren Kamin, die kleinen Blüten von einem langen Lavendelstiel pflückend. Ich war so erleichtert, sie zu sehen, daß ich alles gesagt und getan hätte. Und als sie mich leise bat, ihr alles zu erzählen, was ich wüßte, tat ich es gem. Denn was nun noch blieb, war nichts neben dem alten Geheimnis, daß ich ihr Leben gefordert hatte. Und so erzählte ich ihr von mir, so wie ich es dir erzählt habe, wie Lestat zu mir gekommen war und was in jener Nacht geschah, als er sie aus dem kleinen Krankenhaus holte. Sie stellte keine Fragen und sah nur manchmal von ihren Blüten auf. Und dann, als ich geendet hatte und dasaß und wieder auf den unseligen Schädel starrte und ein aufsteigendes dumpfes Elend in Kopf und Gliedern spürte, da sagte sie zu mir: ›Ich verachte dich nicht!‹ Sie schlüpfte von dem runden Damastkissen herunter und kam zu mir, lavendelduftend, die Blütenblätter in den Händen. ›Ist dies der Duft eines sterblichen Kindes?‹ wisperte sie. ›Louis, Liebster!‹ Ich weiß noch, daß ich sie umfaßte, meinen Kopf an ihrer kleinen Brust barg und ihre Spatzenschultern preßte, und sie streichelte mich, fuhr mir mit den Händchen durchs Haar und tröstete mich. ›Ich war sterblich für dich‹, sagte sie, und als ich die Augen hob, sah ich sie lächeln; doch die Weichheit ihrer Lippen schwand, und im nächsten Augenblick schaute sie an mir vorbei wie jemand, der einer fernen, bedeutungsvollen Musik lauscht. ›Du gabst mir deinen unsterblichen Kuß‹, sagte sie, doch nicht zu mir, sondern zu sich selber. ›Du liebtest mich mit deiner Vampirnatur.‹
    Jetzt liebe ich dich mit meiner menschlichen Natur, wenn ich je eine besaß‹, antwortete ich.
    ›Ach ja‹, sagte sie, noch immer nachdenklich. ›Ja, und das ist deine schwache Seite und der Grund, weshalb du ein so unglückliches Gesicht machtest, als ich sagte, so wie Menschen sagen: Ich hasse dich. und warum du mich so anblickst, wie du es jetzt tust. Menschennatur - ich habe keine. Und keine Geschichte von einer toten Mutter und von Hotelzimmern, wo Kinder Ungeheuerlichkeiten lernen, kann mir eine Menschennatur geben. Ich habe keine. Du reißt die Augen auf vor Angst, wenn ich es zu dir sage. Doch ich habe deine Sprache, dein leidenschaftliches Streben nach Wahrheit. Und dein Verlangen, den Dingen mit scharfem Verstand auf den Grund zu gehen wie der Kolibri mit seinem

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