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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hingegen flirtete sozusagen mit der Katastrophe; mit überwältigendem Gleichmut las sie ihre Vampirbücher und hörte nicht auf, an Lestat Fragen zu richten. Seine sarkastischen Ausfälle ließen sie unberührt, und manchmal stellte sie die gleiche Frage mehrmals in verschiedenen Worten und überlegte sorgfältig die spärlichen Antworten, die er ihr widerwillig gab. ›Was für ein Vampir machte aus dir, was du bist?‹ fragte sie zum Beispiel, ohne von ihrem Buch aufzusehen, und hielt die Lider gesenkt, wenn Lestat ausfällig wurde. ›Warum sprichst du nie von ihm?‹ fuhr sie fort, als wären seine Grobheiten Luft für sie. Sie schien gegen seine Verärgerung gefeit zu sein.
    ›Ihr seid habgierig, ihr beide!‹ sagte er am nächsten Abend, während er in der dunklen Zimmermitte auf und ab ging und Claudia, die neben einer Kerze in ihrer Ecke hockte und ihre Bücher um sich aufgestapelt hatte, giftige Blicke zuwarf. Unsterblichkeit ist euch nicht genug! Nein, ihr müßt dem euch von Gott geschenkten Gaul auch noch ins Maul sehen! Ich könnte es jedem beliebigen Mann auf der Straße anbieten, und er würde sich alle zehn Finger danach lecken…‹
    ›Hast du dir alle zehn Finger danach geleckt?‹ fragte Claudia sanft und bewegte kaum die Lippen dabei.
    ›… aber du, du willst wissen, warum? Möchtest du Schluß machen? Ich kann dir den Tod leichter geben als das Leben!‹ Er wandte sich an mich, sein Schatten groß über mir. Das licht von Claudias Kerze legte einen Heiligenschein um sein blondes Haar und ließ das Gesicht dunkel, nur die Backenknochen schimmerten hell. ›Willst du den Tod?‹
    ›Wissen ist nicht Tod‹, flüsterte sie.
    ›Antworte!‹ sagte er. ›Willst du den Tod?‹
    Sie erwiderte spöttisch: ›Und du spendest das alles! Du gibst Leben, und du gibst Tod!‹
    ›Ja, das tue ich‹, sagte er. ›Das habe ich getan.‹
    ›Du weißt nichts‹, sagte sie ernst, mit so leiser Stimme, daß das geringste Geräusch von der Straße ihre Worte zudeckte, so daß ich, in meinem Sessel zurückgelehnt, mich aufsetzte und mir Mühe geben mußte, sie zu verstehen. ›Und angenommene fuhr sie fort, ›der Vampir, der dich gemacht hat, wußte nichts, und der Vampir, der diesen Vampir gemacht hat, wußte nichts, und der Vampir davor wußte nichts - und so geht es weiter rückwärts, und nichts kommt aus nichts, bis es gar nichts gibt! Und wir müssen leben mit dem Wissen, daß es kein Wissen gibt.‹ ›Ja‹, rief er plötzlich aus, die Hände ausgestreckt, und in seiner Stimme klang noch etwas anderes als Ärger mit.
    Dann schwieg er, und sie schwieg auch. Langsam kehrte er sich zu mir um, als hätte ich eine Bewegung gemacht, die ihn alarmierte, als wäre ich hinter ihm aufgestanden. Es erinnerte mich daran, wie sich die Menschen umzudrehen pflegen, wenn sie meinen Atem in ihrem Nacken spüren, und plötzlich wissen, nachdem sie sich allein geglaubt haben… jener Augenblick schrecklichen Argwohns, ehe sie mein Gesicht sehen und ihnen der Atem stockt. Jetzt blickte Lestat mich an, und fast unmerklich bewegten sich seine Lippen. Und dann fühlte ich es: Er hatte Angst. Lestat hatte Angst!
    Und Claudia sah ihn mit demselben gleichmütigen Blick an, der keine Bewegung, keinen Gedanken verriet.
    ›Du hast sie damit angesteckte flüsterte er, zündete die Kerzen auf dem Kaminsims an und ging im Zimmer umher, um überall Licht zu machen. Er stellte sich mit dem Rücken zum Kamin und betrachtete die Lichter, als hätten sie ihm die Ruhe wiedergegeben. Dann sagte er: ›Ich gehe aus.‹
    Sobald er auf der Straße war, erhob sich Claudia, blieb im Zimmer stehen und reckte sich, mit gestreckten Armen und geballten Fäusten. Sie schloß die Augen, um sie gleich wieder zu öffnen, als erwache sie aus einem schweren Traum. Das Zimmer schien noch von Lestats Angst, vom Widerhall seiner letzten Antwort durchzittert. Ich muß eine unwillkürliche Bewegung gemacht habe, mich von Claudia abzuwenden, denn sie stand auf einmal neben meinem Sessel und legte die Hand auf mein Buch, in dem ich seit Stunden nicht mehr gelesen hatte. ›Geh mit mir aus!‹ sagte sie.
    ›Du hast rechte sagte ich. ›Er weiß nichts. Es gibt nichts, was er uns lehren kann.‹
    ›Hast du das je gedacht?‹ fragte sie mit der gleichen zarten Stimme. ›Wir werden andere unseresgleichen finden. In der Alten Welt. Dort leben sie in so großer Zahl, daß die Geschichten darüber, wirkliche und ausgedachte, viele Bände füllen. Ich bin sicher,

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