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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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die Federn, die er für seine Noten brauchte.
    Wie ich schon sagte, dauerte dies länger als jede andere von Lestats Freundschaften. Und es war nicht ersichtlich, ob er tatsächlich - wider Willen - einen Sterblichen liebgewonnen hatte oder ob er nur eine besonders große Verräterei und Grausamkeit vorbereitete. Und natürlich fragte ich ihn nicht danach, denn es wäre den Aufruhr nicht wert gewesen, den meine Frage verursacht hätte. Lestat von einem Sterblichen hingerissen! Wahrscheinlich hätte er vor Wut die Zimmereinrichtung zertrümmert.
    Am nächsten Abend - nach dem, welchen ich dir soeben geschildert habe - setzte er mir heftig zu, mit ihm den jungen Mann in seiner Wohnung zu besuchen. Er war ausgesprochen freundlich, in einer jener Stimmungen, wo ihm an meiner Gesellschaft gelegen war. An solchen Abenden mußte ich ihn ins Theater, in die Oper oder zum Ballett begleiten. Ich glaube, ich habe allein Macbeth ein dutzendmal mit ihm gesehen. Wir besuchten jede Vorstellung, auch die von Amateurtheatern, und auf dem Heimweg pflegte Lestat gutgelaunt Verse zu wiederholen und sogar harmlose Vorübergehende mit erhobenem Finger zu apostrophieren, so daß sie dachten, er sei betrunken, und einen Bogen um ihn machten. Doch sein Überschwang war hektisch und konnte im Nu wieder erlöschen; es genügten ein oder zwei liebenswürdige Worte von mir oder die Andeutung, daß ich seine Gesellschaft angenehm empfände, um solche Anwandlungen viele Monate lang zu unterdrücken. Aber nun kam er in gehobener Stimmung zu mir und bat mich dringend mitzukommen, ja, er faßte mich sogar beschwörend am Arm. Und ich, unlustig und hin und her gerissen, gab irgendeine dürftige Entschuldigung; denn ich dachte nur an Claudia, an den Agenten, an die bevorstehende Katastrophe. Ich fühlte sie kommen und fragte mich, ob er sie nicht auch fühlte. Schließlich ergriff er ein Buch und warf es nach mir und rief: ›Dann lies deine verdammten Gedichte!‹ Und stapfte davon. Ich blieb verwirrt zurück, verwirrt und unruhig, ich kann dir gar nicht sagen, wie. Ich wünschte ihn kalt, leblos, für immer dahin, und zugleich wollte ich Claudia bitten, es zu unterlassen. Ich fühlte mich machtlos und hoffnungslos müde. Aber ihre Tür war verschlossen gewesen, bis sie das Haus verließ; und ich hatte sie nur einen Augenblick gesehen, als sie in ihren Mantel schlüpfte, während Lestat schwatzte, ein lieblicher Traum in Seide und Spitzen, mit weißen Spitzenstrümp fen unter dem Rocksaum und untadelig weißen Schuhen. Sie warf mir einen kalten Blick zu, als sie davonging.
    Als ich später heimkehrte, gesättigt und zu träge, mich von meinen Gedanken beunruhigen zu lassen, dämmerte mir allmählich, daß dies die Nacht war. Heute nacht würde sie es versuchen. Ich könnte nicht sagen, wie mir die Gewißheit kam. Geräusche, die ich in unserer Wohnung hörte, machten mich stutzig. Claudia hantierte in dem rückwärtigen Salon hinter verschlossenen Türen; und mir war, als vernähme ich eine zweite Stimme, ein Flüstern. Claudia brachte nie jemand in unsere Wohnung mit, und ich auch nicht; nur Lestat holte sich seine Frauen von der Straße herauf. Aber ich wußte, daß jemand da war, obwohl ich keine besonderen Düfte wahrnahm, keine bestimmten Töne hörte. Doch dann war der Geruch von Speise und Trank in der Luft. Und Chrysanthemen standen in der Silbervase auf dem Flügel - Blumen, die für Claudia Tod bedeuteten.
    Dann kam Lestat. Er sang halblaut auf der Treppe, fuhr mit dem Stock über die Geländerstäbe und schritt durch den Korridor, das Gesicht gerötet vom Töten, die Lippen rosig. Er setzte sich an den Flügel. ›Habe ich ihn getötet oder nicht?‹ Er warf mir die Frage zu wie einen Ball. ›Was meinst du?‹
    Ich erwiderte: ›Nein! Denn du hast mich aufgefordert, dich zu begleiten, und du hättest mich nicht eingeladen, ihn mit dir gemeinsam zu töten.‹
    ›Ach was! Vielleicht habe ich ihn im Zorn getötet, weil du nicht mitkommen wolltest!‹ sagte er und schlug den Deckel von den Tasten zurück. Ich sah, daß er bis zum Morgengrauen so weitermachen konnte. Er war gut gelaunt. Ich sah ihn rasch in den Noten blättern, die er mitgebracht hatte, und dachte: Kann er sterben? Kann er tatsächlich sterben? Und wird sie es wirklich tun? Ich war schon soweit, zu ihr zu gehen und ihr zu sagen, wir müßten alles aufgeben, sogar die Europareise, und so leben wie bisher. Doch jetzt hatte ich das Gefühl, es gäbe kein Zurück mehr. Seit dem

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