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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Tage, da sie begonnen hatte, ihm Fragen zu stellen, war es - was auch immer es sein sollte - unvermeidlich. Und ich spürte ein Gewicht auf mir, das mich in den Sessel drückte, als sei ich gelähmt.
    Lestat schlug mit beiden Händen Akkorde an. Er hatte eine immense Spannweite und wäre zu Lebzeiten ein guter Pianist geworden. Doch er spielte seelenlos, blieb stets außerhalb der Musik, die er wie ein Zauberer aus dem Klavier holte, mit der Virtuosität seiner Vampirsinne. ›Also, habe ich ihn getötet?‹ fragte er abermals.
    ›Nein, du hast es nicht‹, wiederholte ich, obwohl ich ebensogut das Gegenteil hätte sagen können. Ich bemühte mich, mein Gesicht undurchsichtig wie eine Maske zu halten.
    ›Du hast recht, ich habe es nicht getan‹, erwiderte er. »Es erregt mich, bei ihm zu sein, immer wieder zu denken, ich kann ihn töten und will ihn töten, aber nicht jetzt. Und ihn dann zu verlassen und jemanden zu finden, der ihm so ähnlich wie möglich sieht. Wenn er Brüder hätte - ich würde sie alle töten, einen nach dem anderen. Dann wäre die ganze Familie eines Tages einem geheimnisvollen Fieber erlegen‹, sagte er im Tonfall eines Marktschreiers. ›Claudia hat eine Schwäche für Familien. Übrigens, da wir von Familien sprechen - ich vermute, du hast es auch gehört: Die Plantage der Freniéres soll von Geistern heimgesucht werden; sie können keinen Aufseher halten, und die Sklaven laufen in Scharen davon.‹
    Das war nun etwas, das ich durchaus nicht hören wollte. Babette war jung gestorben, in geistiger Umnachtung, nachdem sie täglich zu den Trümmern von Pointe du Lac gewandert war und behauptet hatte, sie habe den Teufel gesehen und müsse ihn dort finden. Ich hatte es gerüchtweise gehört, und dann las ich die Todesanzeige. Manchmal war mir der Gedanke gekommen, zu ihr zu gehen und zu versuchen, auf irgendeine Weise wiedergutzumachen, was ich getan, doch dann dachte ich, die Zeit wird es heilen; und in meinem neuen Leben nächtlichen Tötens wurde mir die Zuneigung, die ich für Babette oder meine Schwester oder sonst einen Sterblichen empfunden, immer fremder. Und schließlich beobachtete ich die Tragödie wie ein Zuschauer aus seiner Theaterloge, teilnahmsvoll, doch nie genug, um auf die Bühne zu springen und mitzuspielen. Ich sagte zu Lestat: ›Sprich nicht von ihr!‹
    ›Schon gut‹, sagte er. ›Es war übrigens von der Plantage die Rede, nicht von der Dame deines Herzens. Du weißt, es kam letzten Endes alles so, wie ich wollte, nicht wahr? Aber ich sprach von meinem jungen Freund und wie…‹
    ›Mir wäre lieber, du spieltest Klavier‹, sagte ich ruhig, doch bestimmt. Manchmal verfehlte dieser Ton bei Lestat nicht seine Wirkung, und er tat, worum ich ihn bat. So auch jetzt. Er knurrte, als wolle er sagen: ›Du Narr!‹, doch er begann zu spielen.
    Dann hörte ich die Tür des hinteren Salons sich öffnen, und Claudias Schritte auf dem Korridor. Komm nicht herein, Claudia, dachte ich, fühlte ich, geh davon, ehe wir alle vernichtet werden. Aber ihre Schritte näherten sich, und ich wandte mich um, als sie eintrat und schweigend über den Teppich zum Klavier schritt. Sie war ganz in Weiß und duftete nach einem Blumenparfüm. Am Klavier blieb sie stehen, die Hände auf dem Holz gefaltet, das Kinn darauf gestützt. Ich konnte Lestats Profil sehen und ihr kleines Gesicht, das ihn anschaute.
    ›Was soll denn das!‹ sagte er, blätterte um und ließ die Hand sinken. ›Du irritierst mich. Deine Anwesenheit irritiert mich.‹ Seine Augen wanderten über das Notenblatt.
    ›Ach - wirklich?‹ fragte sie mit ihrer süßesten Stimme.
    ›Ja, wirklich. Und ich will dir noch etwas sagen. Ich habe jemand kennengelernt, der einen besseren Vampir als du abgeben würde.‹ Das bestürzte mich. Aber ich mußte ihn nicht auffordern, weiterzureden. Und da sie nicht antwortete, setzte er hinzu: ›Hast du verstanden, was ich sagte?‹
    Sie fragte: ›Willst du mir einen Schreck einjagen?‹
    ›Du bist verwöhnt, weil du ein Einzelkind bist‹, antwortete er. »Du brauchst einen Bruder. Oder, besser gesagt, ich brauche einen Bruder. Ich habe genug von euch. Ihr seid habgierige, spintisierende Vampire, die sich selbst heimsuchen.‹
    Sie sagte: ›Ich vermute, wir könnten die ganze Welt mit Vampiren versorgen, wir drei.‹
    ›Das bildest du dir ein!‹ versetzte er und grinste verächtlich. ›Meinst du, du könntest? Ich nehme an, Louis hat dir erzählt, wie ich es gemacht habe oder wie er

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