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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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obwohl sie alle Leute bestricken konnte, ihr zu helfen, wenn sie sich allzu weit von unserem Haus entfernt hatte. Wie oft hatte sie nicht schon einen Fremden dazu beredet, sie heimzubringen zu ihrem Vater, der ihm überschwenglich dankte.
    Als sie endlich kam, war sie außer Atem vom Laufen, und ich dachte, sie habe sich in der Zeit geirrt und glaube, es sei später, als es tatsächlich war. Wir hatten noch eine Stunde Zeit. Doch als sie eintrat, sah ich, daß es etwas anderes war. ›Schließ die Türen, Louis!‹ keuchte sie, die Hand auf dem Herzen. Sie lief den Korridor hinunter, ich hinterher, und als sie mir verzweifelt Zeichen gab, schloß ich die Türen zur Galerie. ›Was ist los?‹ fragte ich. ›Was hast du denn?‹ Aber sie gab keine Antwort und eilte zur Frontseite zu den hohen Glastüren, die auf die schmalen Balkons über der Straße hinausgingen. Sie löschte die Lampe, und das Zimmer wurde dunkel bis auf die Lichter von der Straße. Noch immer stand sie keuchend da, dann zog sie mich neben sich zum Fenster.
    ›Mir ist jemand nachgegangene flüsterte sie. ›Ich hörte deutlich seine Schritte hinter mir.‹ Sie hielt inne, um Atem zu holen. ›Louis, es war der Musiker.‹
    ›Aber was macht das aus? Er kennt dich; wahrscheinlich hat er dich einmal mit Lestat gesehen.‹
    ›Louis, er ist unten. Schau aus dem Fenster!‹ Sie schien so erschrocken, fast verängstigt. Ich trat auf den Balkon, ohne ihre Hand loszulassen, während sie hinter dem Vorhang stehenblieb, und sie hielt mich so Fest, als habe sie um mich Angst. Es war elf Uhr, in der Rue Royale herrschte Stille, die Läden waren geschlossen und die Theatervorstellungen schon vorbei. Irgendwo rechts von mir schlug eine Tür zu. Ein Mann und eine Frau gingen vorüber und verschwanden in der Dunkelheit, das Gesicht der Frau war unter einem riesigen weißen Hut verborgen. Dann sah ich nichts, hörte nichts, nur Claudias mühevolles Atmen. Im Haus rührte sich etwas, und ich schrak zusammen. Es waren die Vögel, wir hatten sie ganz vergessen. Claudia hatte sich noch stärker erschreckt als ich und drückte sich an mich. ›Da ist niemand, Claudia!‹ flüsterte ich.
    Dann sah ich den Musiker.
    Er hatte so still im Eingang eines Möbelgeschäfts gestanden, daß ich ihn nicht bemerkt hatte, und das mußte er beabsichtigt haben. Jetzt hob er sein Gesicht, mir zugewandt, und es leuchtete im Dunkel wie ein helles licht; Kümmernis und Enttäuschung waren gänzlich aus seinen starren Zügen gewichen, und die großen schwarzen Augen spähten aus dem bleichen Fleisch aufmerksam zu mir hinauf. Er war ein Vampir geworden.
    ›Ich sehe ihn‹, murmelte ich und bewegte die Lippen so wenig wie möglich, während ich seinem Blick standhielt. Claudia drängte sich noch näher an mich, ihre Hand in meiner zitterte, als schlüge ein Herz in meiner Hand. Sie stieß einen Laut des Erschreckens aus, als sie ihn jetzt sah. Doch während wir noch auf den Regungslosen hinunterstarrten, ließ mich etwas erschauern. Ich hörte die Gartentür knarren und Schritte in der Auffahrt, dann im Hausflur, dann auf der Treppe - geräuschvolle, unbekümmerte, vertraute Schritte. Claudia hielt die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu ersticken. Der Vampir gegenüber in der Ladentür hatte sich nicht gerührt, doch die Schritte im Flur, auf der Treppe, kannte ich. Es war Lestat. Jetzt rüttelte er an der Klinke, klopfte und riß an der Tür, als wolle er sie aus dem Rahmen brechen. Claudia zog sich in eine Ecke zurück, zusammengekrümmt, wie wenn ihr jemand einen Schlag versetzt hätte. Das Klopfen an der Tür wurde lauter. Und dann vernahm ich seine Stimme, ›Louis!‹ rief er, ›Louis!‹, hörte, wie das Fenster zum hinteren Salon zerklirrte und der Riegel von innen zurückgeschoben wurde. Schnell nahm ich die Lampe, strich ein Zündholz an und zerbrach es, mit dem zweiten flammte die Lampe auf, ich ergriff sie am Petroloeumbehälter. ›Geh weg vom Fenster‹, rief ich Claudia zu, ›und schließ es. Und zünde die anderen Lampen an.‹ Sie gehorchte, als habe der klare und laute Befehl sie aus einer Lähmung befreit. Ich hörte sie weinen, als sie das Zündholz anstrich. Lestat kam den Korridor hinunter. Und dann war er in der Tür. Ich stieß einen lauten Atemzug aus und trat unwillkürlich mehrere Schritte zurück. Ich konnte Claudias Schrei hören. Es war Lestat, fraglos, wiederhergestellt und ganz, wie er da stand: Den Kopf vorgebeugt, die Augen herausquellend, hielt er

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