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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Leib in dem weißen Laken, und fragte mich, ob sich wohl die Kreaturen des Dunkels von ihm fernhielten, instinktiv wissend, daß seine Berührung tödlich sei, oder ob sie im Gegenteil sich in dem stinkenden Wasser um ihn drängten und das faulende Fleisch von seinen Knochen pickten.
    Wir kehrten um, zurück in das Herz der alten Stadt, und ich fühlte den sanften, tröstenden Druck von Claudias Hand. Sie hatte sich von den Gartenmauern einen Strauß gepflückt, den sie jetzt vor die Brust an ihrem gelben Kleid hielt, das Gesicht darin vergraben. Und nun sagte sie, so leise, daß ich mich zu ihr beugen mußte: ›Louis, es bedrückt dich. Du weißt das Heilmittel: Laß das Fleisch… laß das Fleisch den Geist belehren!‹ Sie ließ meine Hand los und entfernte sich und wandte sich noch einmal um, um die Worte zu wiederholen: ›Laß das Fleisch den Geist belehren… Vergiß ihn!‹ Ich mußte an das Gedichtbuch denken, das ich in der Hand gehalten, als sie diese Worte zum ersten Mal zu mir sprach, und ich sah die Verse vor mir:
     
    Sie war so hold, die Lippen rot,
    Wie Aussatz ihre Haut so weiß,
    Der lebend’ Tod,
    Der Hauch der Pest,
    Der Menschenblut gefrieren läßt,
    Zu dickem, kaltem Eis.
     
    Dann sah ich Claudia um die Ecke verschwinden, nachdem sie mir noch einmal zugelächelt hatte, ein Wölkchen gelber Seide, das die Dunkelheit verschluckt. Meine Gefährtin, dachte ich, meine Gefährtin für immer. Ich bog in die Rue Dumaine ein und ging an dunklen Fenstern vorbei.
    Hinter einem Vorhang aus schwerer Spitze verlosch ganz gemächlich eine Lampe, das Muster des Schattens breitete sich auf der Ziegelmauer aus, wurde schwächer und verschwand dann ganz und gar in der Dunkelheit. Ich näherte mich dem Hause der Madame LeClair. Aus den Salons im ersten Stock hörte ich den Ton schriller Violinen und das metallische Lachen der Gäste, und gegenüber, im Schatten postiert, sah ich, wie sie sich hinter den Fenstern bewegten. Einer der Gäste, einen hellen zitronenfarbenen Wein in seinem Stielglas, ging von Fenster zu Fenster, sein Gesicht dem Mond zugewandt, als suche er einen besseren Aussichtsplatz und fand ihn schließlich am letzten Fenster, wo er den dunklen Vorhang zur Seite schob. Eine Tür war geöffnet, und Licht fiel in einen Gang. Ich schlich leise über die schmale Straße, und schwere Küchengerüche empfingen mich hinter dem Tor. Der Übelkeit erregende Geruch von schmorendem Fleisch. Ich schlüpfte in den Gang. Jemand war gerade über den Hof geeilt und hatte eine Hintertür geschlossen. Doch dann sah ich noch eine andere Gestalt. Vor dem Herd stand eine schlanke, schwarze Frau mit einem weißen Häubchen, die Züge feingemeißelt und im Schein des Herdfeuers glänzend wie Diorit. Ich roch den angenehmen Duft der Gewürze, frisches Grün und Majoran und Lorbeer, doch dann, als sie im Kessel rührte, den abscheulichen Gestank schmorenden Fleisches. Sie legte den langen Eisenlöffel nieder und stand da, die Hände auf die Hüften gelegt. Die Brühe in dem Kessel schäumte über den Rand und tropfte in die glühenden Kohlen darunter. Der dunkle Duft der Frau wehte zu mir herüber, stärker als der Geruch der Speisen und Gewürze, verlockend, quälend, als ich näher trat und mich gegen die Wand lehnte. Oben begannen die dünnen Violinen einen Walzer, und die Dielen dröhnten unter den tanzenden Paaren. Die Frau kam zur Küchentür, den schwarzen Nacken anmutig gebeugt, während sie zu mir hinausspähte. ›Monsieur?‹ sagte sie und trat ins volle licht. Es fiel auf ihre Brust, die seidenglänzenden nackten Arme und auf die fremdartige Schönheit des Gesichtes. ›Sie wollen zur Party, Monsieur?‹ fragte sie. ›Die Party ist oben…‹
    ›Nein, meine Liebe, ich will nicht zur Party‹, sagte ich und trat aus dem Schatten heraus. ›Ich will zu Ihnen.«

    »Alles war fertig, als ich am nächsten Abend erwachte: Die Koffer waren unterwegs zum Schiff, dazu eine Kiste mit einem Sarg; die Dienstboten waren entlassen, die Möbel mit weißleinenen Tüchern zugedeckt. Die Tickets, die Kreditbriefe und andere Papiere in der Brieftasche verwandelten die Reise von einem Traum in Wirklichkeit. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich an diesem Abend auf das Töten verzichtet, und so erledigte ich es früh und routinemäßig. Claudia hielt es ebenso, und als es Zeit zum Aufbruch war, saß ich allein in unserer Wohnung und wartete auf sie. Sie blieb lange aus, ich wurde nervös und ängstigte mich um sie -

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