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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Phantasie zu sein. Von dem einen oder dem anderen zu wissen und daran zu glauben… war wohl das einzige Heil, von dem ich träumen konnte.
    Claudia, die Lestats Vorliebe für helles Licht teilte, zündete alle Lampen an, wenn sie aufstand. Sie hatte von einer Dame an Bord ein schönes Kartenspiel bekommen; die Bilder waren im Stil von Marie-Antoinette gehalten, und die Rückseiten hatten goldene Lilien auf violettem Grund. Sie legte eine Patience, in der die Karten wie eine Uhr angeordnet wurden. Und sie fragte mich immer wieder, wie das Lestat bewerkstelligt haben könnte, bis ich zu antworten begann. Ihre Erschütterung war verflogen; falls sie sich noch erinnerte, wie sie geschrien hatte, als das Feuer in unserer Wohnung ausbrach, so kam sie jetzt nicht mehr darauf zurück; und wenn sie noch wußte, daß sie vorher in meinen Armen Tränen geweint hatte, so bewirkte dies keine Veränderung in ihr. Sie kannte, wie schon immer, nur wenig Unentschlossenheit, und ihre gewöhnliche Seelenruhe bedeutete weder Angst noch Bedauern.
    Jetzt sagte sie: ›Wir hätten ihn verbrennen sollen. Es war dumm von uns anzunehmen, daß er tot war.‹
    ›Aber wie konnte er überlebt haben?‹ fragte ich. ›Du hast ihn gesehen, hast gewußt, was aus ihm geworden war.‹ Ich hatte keine Lust, darüber zu sprechen, hätte es am liebsten tief in mein Unterbewußtsein verdrängt, doch mein Verstand ließ es nicht zu. Und es war Claudia, die mir die Antworten gab, als führe sie das Gespräch mit sich selber. ›Angenommen‹, erklärte sie, ›er hat noch weitergelebt, nachdem er den nutzlosen Kampf mit uns aufgegeben hatte, eingeschlossen in der hilflosen, vertrockneten Leiche, mit Bewußtsein und Überlegung…‹ ›Mit Bewußtsein!‹ flüsterte ich. ›In diesem Zustand!‹ Sie fuhr fort: ›Und angenommen, als er im Sumpf lag und uns wegfahren hörte, hatte er noch Kraft genug, seine Glieder zu zwingen, sich zu bewegen. Es gab Lebewesen genug im Dunkeln um ihn. Ich habe einmal gesehen, wie er einer kleinen Eidechse den Kopf abriß und das Blut in ein Glas laufen ließ. Kannst du dir den hartnäckigen Lebenswillen in ihm vorstellen, der ihn im Wasser nach irgend etwas Lebendigem greifen ließ?‹
    Hartnäckigkeit? Lebenswillen?‹ murmelte er. ›Und wenn es etwas anderes war…‹
    ›Und dann, als er die Wiederkehr seiner Kraft spürte, gerade genug, um sich zur Straße zu schleppen, hat er vielleicht jemand auf dieser Straße getroffen, einen Wagen, der ihn mitnahm; oder er ist zu den Hütten der Einwanderer oder einem einsamen Landhaus gekrochen. Was für ein Anblick muß er gewesen sein!‹ Sie blickte stumm und ohne Gefühlsregung mit halbgeschlossenen Augen auf die Hängelampe. ›Und dann? Mir ist es einigermaßen klar. Wenn er es nicht bis nach New Orleans geschafft hat, dann hat er höchstwahrscheinlich auf dem Friedhof von Old Bayou übernachtet. Dorthin kommen täglich frische Särge aus dem Armenkrankenhaus. Ich sehe ihn vor mir, wie er die feuchte Erde nach einem solchen Sarg durchwühlt, den Inhalt in die Sümpfe wirft und sich bis zum nächsten Abend hineinbettet. Ja … so wird er es gemacht haben, ich bin ganz sicher.‹
    Ich dachte eine ganze Weile darüber nach, malte es mir aus und räumte ein, daß es so gewesen sein könnte. Und dann hörte ich sie nachdenklich hinzufügen, während sie eine Karte auflegte und das ovale Gesicht eines Königs mit einer weißen Perücke betrachtete: ›Ich hätte es auch tun können.‹ Sie sammelte die Karten ein, häufte sie zu einem Päckchen und begann sie zu mischen. ›Warum schaust du mich so an?‹ fragte sie.
    Ich sagte: ›Meinst du… wenn wir ihn verbrannt hätten - daß er dann gestorben wäre?‹
    ›Natürlich. Wo nichts mehr ist, kann nichts mehr auferstehen‹, sagte sie. ›Worauf willst du hinaus?‹ Sie verteilte die Karten und legte auch für mich ein Blatt auf den kleinen Kirschbaumtisch. Ich blickte die Karten an, ohne sie zu nehmen.
    ›Ich weiß nicht‹, sagte ich leise. ›Nur, daß es vielleicht gar keinen Lebenswillen, keine Hartnäckigkeit gegeben hat - ganz einfach, weil sie nicht vonnöten waren.‹
    Sie sah mich aufmerksam an, ohne zu verraten, was sie dachte oder daß sie meine Gedanken verstand, so daß ich fortfuhr: ›Weil er vielleicht nicht sterben konnte - weil wir alle tatsächlich unsterblich sind?‹ Noch immer sagte sie nichts und wandte den Blick nicht von mir. »Bewußtsein in diesem Zustand…‹, fügte ich schließlich

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