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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nur, um meine Habe in ein ähnliches Haus zu überführen, um ein neues Leben in New Orleans zu beginnen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ich es für immer verlassen sollte, doch zunächst stand all mein Sinnen und Trachten auf Europa, und zum ersten Mal wurde mir klar, daß ich die ganze Welt sehen könnte, wenn ich wollte. Daß ich, wie Claudia sagte, frei sein würde. Inzwischen machte sie Pläne. Sie war ganz entschieden der Meinung, daß wir zuerst nach Südosteuropa gehen müßten, wo es wahrscheinlich die meisten Vampire gäbe, und sie war fest davon überzeugt, daß wir einen treffen würden, von dem wir lernen und etwas über unseren Ursprung erfahren könnten. Aber sie schien auf mehr erpicht als auf bloße Belehrung: auf eine Vereinigung mit ihresgleichen. Sie sagte es immer wieder, und sie betonte das Wort ›meinesgleichen‹ anders, als ich es betont haben würde, und ließ mich dadurch den Abgrund fühlen, der zwischen uns lag. In den ersten Jahren unseres gemeinsamen Lebens hatte ich gedacht, sie sei wie Lestat, habe von ihm den Instinkt zu töten eingesaugt, wenn sie auch in allem anderen meine Neigungen und meinen Geschmack teilte. Jetzt wußte ich, daß sie weniger menschlich war als wir beide, weniger, als einer von uns sich hätte träumen lassen. Nicht die geringste Gleichgestimmtheit verband sie mit dem Leben der Menschen; und vielleicht erklärte dies, warum sie - trotz allem, was ich getan oder unterlassen hatte - sich an mich klammerte. Ich war nicht ihresgleichen, nur ihr am allernächsten.«
    »Aber wäre es nicht möglich gewesen«, fragte der Junge, »ihr die Empfindungsweise der Menschen nahezubringen, so wie Sie ihr alles andere vermittelt haben?«
    »Wozu?« fragte der Vampir freimütig. »Um sie so leiden zu lassen, wie ich gelitten hatte? Ja, ich gebe zu, daß ich sie etwas hätte lehren sollen, ein Gegenmittel gegen ihr Verlangen, Lestat umzubringen. Um meiner selbst willen hätte ich es tun sollen. Aber, siehst du, ich hatte zu nichts mehr Vertrauen. Nachdem ich einmal der Gnade verlustig gegangen war, hatte ich zu nichts mehr Vertrauen.«
    Der Junge nickte. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen. Sie wollten etwas anderes sagen.«
    »Nur, daß ich jetzt vergessen konnte, was mit Lestat geschehen war, indem ich mich ganz auf Europa einstellte. Und der Gedanke an mögliche andere Vampire beflügelte mich auch. Was die Existenz Gottes betrifft, so war ich keinen Augenblick zynisch. Ich war nur aus seinen Händen gefallen und trieb, ein übernatürliches Wesen, durch die natürliche Welt.
    Doch es ereigneten sich noch andere Dinge, ehe wir nach Europa abreisten. Es begann mit dem jungen Musiker. Er hatte vorgesprochen, als ich an der Kathedrale war, und wollte am folgenden Abend wiederkommen. Ich schickte die Dienstboten fort und machte ihm selber auf. Und war bestürzt über sein Aussehen.
    Er war viel dünner, als ich in Erinnerung hatte, und sehr bleich, mit einem fiebrigen Glanz in den Augen. Und er war furchtbar unglücklich. Als ich ihm sagte. Lestat sei abgereist, wollte er es nicht glauben und versicherte. Lestat hätte ihm bestimmt etwas hinterlassen, wenigstens eine Nachricht. Dann stürzte er auf die Rue Royale hinaus und sprach dabei mit sich selber, als sei ihm alles um ihn herum gleichgültig. Ich eilte ihm nach und holte ihn unter einer Gaslaterne ein. ›Er hat etwas für Sie dagelassene sagte ich und griff schnell nach meiner Brieftasche. Ich wußte nicht, wieviel ich darin hatte, doch ich gab ihm alles, mehrere hundert Dollar, die ich ihm in die Hände drückte. Sie waren so mager, daß man die blauen Adern unter der blassen Haut sehen konnte. Jetzt frohlockte er, und ich merkte, daß es ihm nicht nur um das Geld ging. ›Dann hat er also von mir gesprochen, hat gesagt, daß Sie mir das hier geben sollen!‹ rief er aus und hielt das Geld fest, als sei es eine Reliquie. »Aber er muß noch mehr gesagt haben!‹ Er blickte mich an, mit gequälten hervortretenden Augen. Ich antwortete nicht gleich, denn ich hatte an seinem Hals zwei rote Einstiche gesehen. Zwei winzige Punkte auf der rechten Seite, über seinem beschmutzten Kragen. Er achtete nicht auf den abendlichen Straßenverkehr, auf die Menschen, die sich um uns drängten. Die Scheine flatterten in seiner Hand. ›Stecken Sie das Geld weg‹, flüsterte ich. ›Ja, er hat von Ihnen gesprochen, er sagte. Sie müßten unbedingt Ihr Musikstudium fortsetzen‹
    Er starrte mich an, als erwarte er mehr. ›Ja? Hat

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