Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
hinzu,›…wenn es so wäre, warum dann nicht auch in jedem anderen? Feuer oder Wasser - wo ist da der Unterschied?‹
›Louis‹, sagte sie mit sanfter Stimme, ›du hast Angst. Du bist nicht auf der Hut gegen die Furcht. Du verstehst nicht die Gefahr, die in der Furcht selber liegt. Wir werden die Antworten erhalten, wenn wir unseresgleichen finden, Vampire, die seit Jahrhunderten dieses Wissen besitzen und uns Auskunft geben können. Es war unser Geburtsrecht, und er hat uns dessen beraubt. Er hat seinen Tod verdient‹.
›Aber er ist nicht gestorben…‹, wandte ich ein.
›Er ist tob, sagte sie. ›Keiner konnte dem brennenden Haus entrinnen, der nicht mit uns hinausgelaufen ist. Nein, er ist tot, und sein Freund, der zitternde Ästhet, ebenfalls. Bewußtsein, was hat das für eine Bedeutung?‹ Sie legte die Karten beiseite und winkte mir, ihr die Bücher von dem Tisch neben der Koje zu reichen, jene Bücher, die sie gleich am ersten Tage an Bord ausgepackt hatte, die ausgewählten Berichte über die Geschichte der Vampire, die sie zu ihren Führern erkoren. Es waren keine englischen Schauerromane, keine Erzählungen von Edgar Allan Poe, überhaupt keine Belletristik. Nur die wenigen Beschreibungen der Vampire Osteuropas, die eine Art Bibel für Claudia geworden waren. In diesen Ländern verbrannte man in der Tat die Überbleibsel des Vampirs, wenn man einen gefunden hatte; das Herz wurde aufgespießt und der Kopf vom Rumpf getrennt. Claudia las stundenlang in diesen alten Büchern, die schon hundertmal gelesen worden waren, ehe sie den Weg über den Atlantik gefunden hatten, von Reisenden, Priestern und Gelehrten geschrieben. Und im Geist arbeitete sie schon unsere Reise aus, die uns nicht in die glanzvollen Hauptstädte Europas führen sollte, sondern geradewegs zum Schwarzen Meer, wo wir in Warna anlegen würden und wo unsere Entdeckungsfahrt durch die bäuerlichen Landstriche der Karpaten beginnen sollte.
Für mich, der ich Claudia begleiten mußte, waren es keine rosigen Aussichten, denn mich verlangte nach anderen Orten und nach anderem Wissen, wovon Claudia keine Ahnung hatte. Der Samen dieses Verlangens war vor vielen Jahren in mein Herz gesenkt worden und ging jetzt zu einer schmerzlichen Blüte auf, als unser Schiff die Straße von Gibraltar passierte und Kurs in das Mittelmeer nahm.
Ich hätte es gern blau gesehen, dieses Meer, wie ich es mir seit meiner frühesten Kindheit vorgestellt hatte, doch ich wurde enttäuscht. Es waren nachtdunkle Gewässer, durch die wir steuerten, und wie litt ich darunter! Das Mittelmeer war schwarz, schwarz an den Küsten Italiens, schwarz an den griechischen Küsten - immer schwarz, auch in den frühen Morgenstunden vor der Dämmerung, als sogar Claudia schlief, müde ihrer Bücher und der schmalen Kost, welche die Vorsicht ihrem Vampirhunger gestattete, und ich eine Laterne hinunterließ, bis ihr Licht über den Wellen schimmerte und mir nichts gab als ihren eigenen Widerschein, der mit uns reiste und mir aus den Tiefen herauf zu sagen schien: ›Louis, wonach du trachtest, ist Dunkelheit. Dieses Meer ist nicht dein Meer; die Mythen der Menschen sind nicht deine Mythen, und die Schätze der Menschen sind nicht die deinen.‹
Ach, wie sehr erfüllte mich in diesen Augenblicken die Suche nach den Vampiren der Alten Welt mit Bitterkeit, einer Bitterkeit, die ich schmecken konnte, als habe die Luft ihre Frische verloren. Denn welche Geheimnisse, welche Wahrheiten hatten diese Monster der Nacht uns zu offenbaren? Waren ihnen nicht notwendigerweise Beschränkungen auferlegt, sofern wir sie überhaupt finden würden? Was können die Verdammten wirklich den Verdammten sagen?
Ich bin nicht in Piräus an Land gegangen. Doch im Geist erstieg ich die Akropolis und sah den Mond durch das offene Dach des Parthenon aufgehen, kam mir klein vor neben der Erhabenheit der Säulen, ging auf den Straßen der Griechen, die bei Marathon starben, und lauschte dem Wind in den Zweigen der alten Olivenbäume. Dies waren die Monumente der Menschen, die nicht sterben konnten; hier waren die Geheimnisse, die den Lauf der Zeiten überdauert hatten und die ich erst dunkel zu verstehen begann. Und doch konnte mich nichts von unserer Suche abbringen, und immer wieder erwog ich das große Risiko unserer Fragen, das Risiko jeder Frage, die man aufrichtig stellt; denn die Antwort trägt einen unkalkulierbaren Preis in sich, eine tragische Gefahr. Wer wußte dies besser als ich, der ich Zeuge
Weitere Kostenlose Bücher