Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Jahre blieben.
Schließlich begaben wir uns nach Sizilien, dann nach Griechenland und in die Türkei, dann in die alten Städte Kleinasiens und schlußendlich nach Kairo, wo wir uns für einige Zeit niederließen.
Und überall schrieb ich meine Botschaften an Marius auf die Mauern. Manchmal ritzte ich nur ein paar Wörter mit meiner Messerspitze in den Putz. Dann wieder verbrachte ich Stunden, um meine Litaneien in den Stein zu meißeln. Jedesmal aber schrieb ich meinen Namen nieder, das Datum und mein nächstes Reiseziel und meine Aufforderung: »Marius, offenbare Dich mir.«
Was die alten Orden angeht, so stöberten wir so manchen unterwegs auf, aber es war von Anfang an klar, daß die alten Sitten überall im Niedergang begriffen waren. Nur selten hielten noch mehr als drei oder vier Vampire an den alten Ritualen fest, und wenn sie merkten, daß wir uns ihnen nicht anschließen wollten, ließen sie uns in Ruhe.
Da waren die gelegentlichen Schurken, die wir in aller Öffentlichkeit flüchtig zu sehen bekamen, schon wesentlich interessanter; einsame und unerkannte Vampire, die die Kunst, sich für Sterbliche auszugeben, ebenso perfekt beherrschten wie wir. Aber wir kamen diesen Wesen nie wirklich nahe. Sie liefen vor uns davon, wie sie vor den alten Orden geflohen sein mußten. Und da ich in ihren Augen nichts als Angst ausmachen konnte, war ich nicht versucht, ihnen hinterherzujagen.
Doch auf seltsame Weise beruhigte mich die Gewißheit, daß ich nicht der erste aristokratische Unhold war, der sich auf der Suche nach Opfern in den Ballsälen der Welt tummelte - der todbringende Gentilhomme, der bald in Erzählungen und Gedichten und grauenvollen Groschenheftchen als der Prototyp unserer Zunft auftauchen würde. Es gab also noch jede Menge andere.
Aber wir sollten im Verlauf unserer Reise noch weit eigentümlicheren Geschöpfen der Finsternis begegnen. In Griechenland lernten wir Dämonen kennen, die nicht wußten, wie sie erschaffen worden waren, und manchmal sogar geistesgestörte Geschöpfe, die uns für Sterbliche hielten und überfielen und schreiend fortrannten, wenn wir Gebete aufsagten, um sie in die Flucht zu schlagen.
Die Vampire in Istanbul lebten zu unserer Überraschung in Häusern hinter hohen Mauern und Gattern, hatten ihre Gräber gleich im Garten und kleideten sich, wie es in diesem Teil der Welt allgemein Sitte war, in fließende Gewänder, um in den nächtlichen Straßen auf die Pirsch zu gehen.
Doch zeigten sich selbst sie einigermaßen entsetzt, daß ich unter Franzosen und Venezianern lebte, in Kutschen umherfuhr und in den europäischen Botschaften und Fürstenhäusern ein- und ausging. Sie bedrohten uns, stießen Verwünschungen aus und suchten panikartig das Weite, wenn wir uns gegen sie wehrten, nur um alsbald zurückzukommen und uns erneut zu schikanieren.
Die Untoten, die ihren Spuk in den mameluckischen Gräbern Kairos trieben, waren üble Geister, den alten Gesetzen durch hohläugige Meister verpflichtet, die in den Ruinen eines koptischen Klosters hausten und ihre Rituale mit allerlei östlicher Magie anreicherten und zahlreichen bösen Dämonen seltsamster Namen huldigten. Trotz ihrer giftigen Drohungen wahrten sie Distanz, aber unsere Namen wußten sie.
In all den Jahren haben wir von diesen Geschöpfen nichts erfahren, was mich freilich nicht weiter überraschte.
Und obwohl den Vampiren fast überall die Legenden über Marius und die anderen Altvorderen zu Ohren gekommen waren, hatte sie kein einziger je mit eigenen Augen gesehen. Sogar Armand war für sie nur eine Legende, und mehr als einmal wurde ich gefragt: »Hast du wirklich den Vampir Armand gekannt?« Nirgends bin ich einem wirklich alten Vampir begegnet. Nirgends bin ich einem Vampir begegnet, von dem man hätte sagen können, daß er wahrhaft faszinierend, weise oder besonders vollkommen gewesen wäre und mein besonderes Interesse erregt hätte.
Armand war im Vergleich zu diesen Wesen die reinste Gottheit. Und Gabrielle und ich auch.
Aber ich greife vor.
Als wir das erstemal nach Italien kamen, begannen wir die alten Rituale besser zu verstehen und sie verständnisvoller zu betrachten. Der römische Orden empfing uns mit offenen Armen.
»Kommt in die Katakomben und stimmt mit uns die Hymnen an.«
Ja, sie hatten schon gehört, daß wir dem Orden in Paris den Garaus und den großen Meister Armand übervorteilt hatten. Aber deswegen verachteten sie uns nicht. Im Gegenteil, sie zeigten herzlich wenig
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