Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
gründlich vermöbelt worden, und als ich alle mit Flüchen überschüttete, haben sie mich wieder verprügelt. Die schlimmste Strafe aber war der Gesichtsausdruck meiner Mutter. Ich hatte ihr nicht einmal gesagt, daß ich von zu Hause fliehen würde. Und ich hatte sie verletzt, was noch nie vorgekommen war.
Aber sie hat nie ein Wort darüber verloren. Wenn sie zu mir kam, hörte sie stumm zu, wie ich weinte. Ich sah Tränen in ihren Augen. Und sie legte die Hand auf meine Schulter, was bei ihr mehr als ungewöhnlich war.
Ich habe ihr nicht erzählt, was ich in diesen wenigen Tagen erlebt hatte. Aber ich glaube, daß sie es wußte; etwas Magisches war für immer verloren. Und einmal mehr hat sie sich gegen meinen Vater durchgesetzt, denn sie sorgte dafür, daß ich nicht mehr beschimpft, geschlagen oder sonstwie bestraft wurde.
Beim Essen durfte ich neben ihr sitzen. Sie fügte sich meinen Wünschen und erging sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, in langen Gesprächen mit mir, bis sie auf diese Weise den Haß der Familie auf mich gemildert und schließlich halbwegs aufgelöst hatte.
Dann veräußerte sie, wie schon einmal zuvor, wieder ein Stück aus ihrer Schmuckschatulle und kaufte mir das schöne Jagdgewehr, das ich später dabeihatte, als ich die Wölfe tötete. Es war eine erlesene und teure Waffe, und trotz meines Elends konnte ich es kaum erwarten, sie auszuprobieren. Und meine Mutter erfreute mich mit einem weiteren Geschenk, einer kastanienbraunen Stute, die so kräftig und schnell war wie kein anderes Pferd, das ich kannte.
Doch meine Verbitterung wollte nicht abklingen. Ich konnte die Zeit nicht vergessen, da ich Lelio gewesen war. Die Geschehnisse hatten mich innerlich noch mehr verhärtet, und ich ging nie, nie wieder auf einen Jahrmarkt. Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, den Rest meiner Tage auf diesem Gut zu verbringen, und seltsamerweise wuchs meine Nützlichkeit proportional zu meiner Verzweiflung. Ich allein lehrte, seit ich achtzehn war, die Diener und Hintersassen, in der Furcht des Herrn zu leben. Ich allein sorgte dafür, daß wir genug zu essen hatten. Und aus irgendeinem seltsamen Grund erfüllte mich all das mit großer Zufriedenheit. Ich weiß nicht warum, aber es gefiel mir, am Tisch zu sitzen und zu wissen, daß alle das aßen, was ich herbeigeschafft hatte.
Das alles hatte mich meiner Mutter nähergebracht. Das alles hatte unsere Liebe füreinander geweckt, auch wenn die Menschen um uns es nicht bemerkten, da sie derlei nicht kannten. Und jetzt war sie zu mir gekommen, zu einer Zeit, da mir, warum auch immer, die Gesellschaft jedes anderen Menschen unerträglich war.
Die Augen auf das Feuer gerichtet, nahm ich kaum wahr, wie sie sich neben mich auf das Strohlager sinken ließ.
Stille. Nur das Knistern des Feuers und das gleichmäßige Atmen der schlafenden Hunde. Dann blickte ich sie kurz an und erschrak. Sie litt schon seit Winteranfang an einem chronischen Husten, aber jetzt sah sie wirklich krank aus, und ihre Schönheit, die mir immer soviel bedeutet hatte, schien zum erstenmal verletzlich zu sein.
Ihre hohen Wangenknochen verliehen ihrem hageren Gesicht eine milde Würde, ihre Kinnbacken waren markant und gleichzeitig ausgesprochen feminin, und ihre klaren, kobaltblauen Augen wurden von dichten Wimpern umrahmt. Wenn ihrem Äußeren überhaupt ein Makel anhaftete, dann vielleicht, daß alles in ihrem Gesicht ein wenig klein geraten war, was ihr etwas Mädchenhaftes gab. Ihre Augen wurden noch kleiner, wenn sie wütend war, und obwohl ihr Mund lieblich war, wirkte er oft hart. Er war vollkommen ebenmäßig und glich einer kleinen rosa Rose auf ihrem Gesicht, und wenn sie sehr ernst dreinblickte, sah ihr Mund, ohne daß sie ihn auch nur im geringsten verzogen hätte, irgendwie gemein aus.
Jetzt aber war ihr Gesicht ein wenig eingefallen, auch wenn es mir noch immer schön erschien. Ich sah sie gerne an. Ihr Haar war voll und blond, und das hatte ich von ihr geerbt.
Rein äußerlich bin ich ihr in der Tat nicht unähnlich. Aber mein Gesicht ist ausladender und ungehobelter, und mein Mund ist beweglicher, auch wenn er ebenfalls sehr gemein aussehen kann. Außerdem hat sich mein Humor in meinen Gesichtszügen niedergeschlagen, desgleichen mein schalkhaftes Temperament und mein beinahe hysterisches Lachen, das ich mir auch in Zeiten tiefsten Unglücks zu wahren gewußt habe. Sie dagegen lachte fast nie.
Nun, ich sah oder starrte sie an, als sie sich neben mir niederließ
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