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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und führten mich aus dem Haus und in einen weißüberdachten Wagen.
    Ich erspähte andere feierlich gekleidete Männer, die eine riesige Menschenmenge zurückdrängten, und mir wurde zum erstenmal klar, daß es nur wenigen, ausgewählten Druiden gestattet worden war, mich zu sehen.
    Sobald Mael und ich unter dem Wagenverdeck waren, wurden die Klappen geschlossen, so daß wir völlig abgeschottet waren. Kaum hatten wir uns auf die rauhen Holzbänke niedergelassen, als sich der Wagen auch schon in Bewegung setzte. Und ohne ein Wort zu wechseln, fuhren wir viele Stunden des Wegs.
    Manchmal stahl sich ein Sonnenstrahl durch den weißen Stoff des zeltartigen Daches. Und wenn ich mein Gesicht gegen die Plane drückte, konnte ich den Wald sehen, der noch tiefer und dichter war, als ich ihn erinnerte. Und in unserem Gefolge ein endloser Menschenzug und riesige Wagen, vollgepfercht mit Gefangenen, die sich an die Holzgitter klammerten und in einem schrecklichen Chor nach Freiheit schrien.
    ›Wer sind sie? Warum schreien sie so?‹ fragte ich schließlich. Ich konnte den Druck nicht länger ertragen.
    Mael schreckte wie aus einem Traum hoch. ›Das sind Übeltäter, Diebe, Mörder, alle gerecht verurteilt, und sie werden in heiliger Opferhandlung umkommen. ‹
    › Abscheulich ‹, murmelte ich. Aber war es das wirklich? Wir verurteilten unsere Verbrecher in Rom zum Kreuzestod, zum Scheiterhaufen und allen möglichen Grausamkeiten. Waren wir zivilisierter, nur weil wir derlei nicht religiöse Opfer nannten? Vielleicht waren die Kelten weiser als wir, da sie Menschenleben nicht nutzlos vergeudeten.
    Aber das war Unsinn. Der Wagen ratterte weiter. Ich konnte hören, wie uns die Leute zu Fuß oder zu Pferd überholten. Alle gingen zum Samhainfest. Ich würde sterben. Ich wollte nicht in Flammen aufgehen. Mael sah blaß und verstört aus. Und das Wehklagen der Männer in den Gefangenenwagen trieb mich an den Rand des Wahnsinns.
    Was würde ich denken, wenn das Feuer entzündet würde? Was würde ich denken, wenn ich zu brennen anfinge? Ich konnte es nicht ertragen.
    ›Was werdet ihr mir antun?‹ fragte ich plötzlich. Ich verspürte den Wunsch, Mael zu erwürgen. Er blickte auf und hob kaum merklich seine Augenbrauen.
    ›Was, wenn der Gott bereits tot ist…?‹ flüsterte er.
    ›Dann gehen wir nach Rom, du und ich, und wir betrinken uns mit gutem italienischen Wein!‹ flüsterte ich.
    Am späten Nachmittag hielt der Wagen endlich an. Der Lärm umgab uns wie Rauchschwaden. Als ich versuchte hinauszuspähen, hinderte mich Mael nicht daran. Ich sah, daß wir eine gewaltige Lichtung erreicht hatten, die ganz von riesigen Eichen umgrenzt war. Alle Wagen, unserer nicht ausgenommen, wurden zwischen den Bäumen abgestellt, und in der Mitte der Lichtung waren Hunderte mit etwas beschäftigt, wozu unzählige, gebündelte Zweige vonnöten waren, kilometerweise Seil und jede Menge großer, roh behauener Baumstämme.
    Die vier stärksten und längsten Stämme, die ich je gesehen hatte, wurden hochgehievt und zweimal X-förmig verzurrt.
    Im Wald wimmelte es von Schaulustigen. Die Lichtung konnte unmöglich diese Menschenmengen fassen. Immer mehr Wagen zwängten sich durch das Gedränge und suchten einen Platz am Rand der Lichtung.
    Ich lehnte mich zurück und tat so, als wüßte ich nicht, was da draußen vorging, aber ich wußte es. Und kurz vor Sonnenuntergang schwoll das Geschrei der Gefangenen immer lauter an.
    Es war fast dunkel. Und als Mael für mich die Wagenklappe öffnete, sah ich starr vor Entsetzen zwei ungeheure Weidenstatuen -ein Mann und eine Frau, wenn ich die Massen von Schlingpflanzen, die Haar und Kleidung darstellen sollten, richtig deutete -, aus Stämmen und Korbweide und Seilen errichtet und von oben bis unten mit den gekrümmten und sich windenden Gefangenen gefüllt, die flehentlich schrien.
    Beim Anblick dieser beiden monströsen Riesen verschlug es mir die Sprache. Ich konnte nicht abschätzen, wie viele dieser zappelnden Gefangenen darinnen waren, in das hohle Gestell ihrer enormen Beine gepfercht, in ihre Rümpfe und Arme, sogar in ihre Hände und ihre gewaltigen, käfigartigen Köpfe, die mit Efeu und Blumen gekrönt waren. Das Kleid der Frau bestand aus Blumensträngen, und Weizenhalme waren in den großen Efeugürtel des Mannes gesteckt. Die Statuen schwankten und wären eingestürzt, wenn sie das mächtige, kreuzförmige Holzgerüst nicht gehalten hätte. Zu Füßen dieser Figuren war bündelweise Reisig

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