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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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treiben die Leute in Paris? Worüber sprechen sie? Was denken sie?«
    Er lachte mild über diesen Schwall von Fragen, und ich mußte selbst lachen. Ich ließ ein zweites Glas kommen und schob ihm die Flasche hin. »Erzählen Sie«, sagte ich, »sind Sie in Paris ins Theater gegangen, in die Comédie Francaise vielleicht?«
    »Oft«, sagte er knapp. »Aber hören Sie, jeden Moment wird die Postkutsche eintreffen, dann wird es zu laut hier. Gestatten Sie mir die Ehre, Sie in einem Privatzimmer oben zum Abendessen einladen zu dürfen.
    Das wäre mir am liebsten -«
    Noch ehe ich höflich protestieren konnte, hatte er alles in die Wege geleitet. Man führte uns in eine schlichte, aber gemütliche Kammer.
    Ich hatte mich fast noch nie in einem kleinen Zimmer mit Holzwänden wie diesem aufgehalten, aber ich fühlte mich sofort wohl. Der Tisch war bereits gedeckt, das Kaminfeuer strahlte wirklich Wärme aus, im Gegensatz zu den tosenden Flammenmeeren in unserem Schloß, und die dicken Fensterscheiben waren sauber genug, daß man den blauen Winterhimmel und die schneebedeckten Berge sehen konnte.
    »Jetzt erzähle ich Ihnen alles, was Sie über Paris wissen möchten«, sagte Nicolas bereitwillig und ließ mich zuerst Platz nehmen. »Ja, ich habe die Universität besucht.« Er schnaubte verächtlich. »Und ich habe tatsächlich bei Mozart gelernt, der mir wohl gesagt hätte, daß ich ein hoffnungsloser Fall sei, wenn er nicht gerade Schüler gebraucht hätte. Nun, wo soll ich anfangen? Beim Gestank dieser Stadt oder bei ihrem infernalischen Lärm? Bei den hungernden Massen, die einen auf Schritt und Tritt umgeben? Bei den Dieben in jedem Durchgang, die nur darauf warten, einem die Kehle aufzuschlitzen?«
    Ich winkte ab. Sein Lächeln kontrastierte seltsam zu seinem Tonfall, und seine ganze Art war aufgeschlossen und sympathisch.
    »Bei einem wirklich großen Pariser Theater…«, sagte ich. »Beschreiben Sie es mir… Erzählen Sie mir, wie es da zugeht!«
    Ich glaube, wir verbrachten volle vier Stunden in diesem Zimmer, und die ganze Zeit über haben wir nichts anderes getan als zu trinken und zu reden.
    Nicolas zeichnete mit einem angefeuchteten Finger die Grandrisse der Theater auf die Tischplatte, schilderte die Aufführungen, die er gesehen hatte, die berühmten Schauspieler, die kleinen Häuser entlang der Boulevards. Bald vergaß er seinen Zynismus, und angefeuert von meiner Neugierde erzählte er drauflos, erzählte von der Ile de la Cité, dem Quartier Latin, der Sorbonne, dem Louvre.
    Wir wandten uns allgemeineren Themen zu, wie die Zeitungen über die Tagesereignisse berichteten, wie seine Kommilitonen sich in den Cafes trafen und diskutierten. Er erzählte mir, daß die Leute aufmüpfig wurden und nichts mehr für die Monarchie übrig hatten. Sie wollten eine neue Regierung und fingen an, unruhig zu werden. Er erzählte mir von den Philosophen Diderot, Voltaire und Rousseau.
    Ich habe nicht alles verstanden. Dennoch gelang es ihm, mir ein faszinierend vollständiges Bild vom Paris dieser Tage zu entwerfen. Natürlich überraschte es mich nicht zu erfahren, daß die gebildeten Leute nicht an Gott glaubten und weit mehr an den Naturwissenschaften interessiert waren und daß Adel und Kirche ein ziemlich mieses Ansehen genossen. Das Zeitalter der Vernunft hatte die Zeiten des Aberglaubens abgelöst, und je länger er sprach, desto mehr begriff ich von allem.
    Bald kam er auf die Encyclopédie zu sprechen, Diderots gewaltiges Sammelwerk des Wissens seiner Zeit, auf die Salons, die er aufgesucht hatte, auf Zechgelage und seine Abende in der Gesellschaft von Schauspielerinnen, und auf die öffentlichen Hofbälle im Palais Royal, bei denen sich Marie Antoinette unter das gemeine Volk zu mischen pflegte.
    »Aber glauben Sie mir«, sagte er schließlich, »hier in diesem Zimmer klingt das alles verdammt viel besser, als es in Wirklichkeit ist.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich sanft. Ich wollte nicht, daß er aufhörte zu erzählen. Ich wollte, daß er bis in alle Ewigkeit weitersprach.
    »Wir leben in einem säkularen Zeitalter, Monsieur«, sagte Nicolas und füllte unsere Gläser aus einer neuen Flasche Wein nach. »Und in einem sehr gefährlichen.«
    »Warum gefährlich?« flüsterte ich. »Die Zeiten des Aberglaubens sind vorbei. Was könnte besser sein?«
    »Gut gesprochen, so wie es sich für einen echten Mann des achtzehnten Jahrhunderts gehört, Monsieur«, sagte er melancholisch lächelnd. »Aber es gibt keine

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