Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
ist er unmöglich?« fragte ich sie. »Er hat das mit Gefühl gesagt, als ob es etwas Bestimmtes bedeute.«
Sie lachte, »Ja, es bedeutet etwas Bestimmtes«, sagte sie. »Er ist in Ungnade gefallen. Du weißt, daß seine Familie immer bemüht war, einen kleinen Pseudoaristokraten aus ihm zu machen. Nun, bereits im ersten Semester seines Jurastudiums in Paris entdeckte er seine Leidenschaft für das Geigenspiel. Offenbar hatte er einen italienischen Virtuosen gehört, ein Genie aus Padua, dem man nachsagt, seine Seele dem Teufel verkauft zu haben. Nicolas ließ sofort alles stehen und liegen und nahm Stunden bei Wolfgang Mozart. Er verkaufte seine Lehrbücher. Er übte von früh bis spät und fiel durch sämtliche Examen. Er möchte Musiker werden. Stell dir das vor!«
»Und sein Vater ist außer sich.«
»Genau. Er hat die Geige sogar in Stücke geschlagen, und du weißt, daß der gute Tuchhändler nichts mehr schätzt als teure Waren.«
Ich lächelte. »Und Nicolas hat jetzt keine Geige mehr?«
»Und ob er eine hat! Er ging schnurstracks zu Clermont und verkaufte seine Uhr, um eine neue erstehen zu können. Er ist also unmöglich, aber das Schlimmste ist, daß er recht gut spielt.«
»Hast du ihn gehört?«
Sie verstand etwas von Musik. Immerhin war sie in Neapel aufgewachsen. Ich dagegen hatte nur den Kirchenchor gehört und die Musiker auf den Jahrmärkten.
»Ich habe ihn letzten Sonntag auf dem Weg zur Messe gehört«, sagte sie. »Er spielte in dem Schlafzimmer über dem Laden. Jeder konnte ihn hören, und sein Vater drohte, ihm die Hände zu brechen.«
Vor Entsetzen keuchte ich auf. Ich war zutiefst beeindruckt! Ich glaube, ich liebte Nicolas schon jetzt, weil er einfach das tat, wonach ihm der Sinn stand.
»Natürlich wird er es nie zu etwas bringen«, fuhr sie fort.
»Warum nicht?«
»Weil er zu alt ist. Es hat keinen Sinn, mit zwanzig mit Geigenunterricht anzufangen. Aber was weiß ich? Auf seine Weise spielt er göttlich. Und vielleicht kann er ja dem Teufel seine Seele verkaufen.«
Ich lachte ein wenig gequält. Das hörte sich alles faszinierend an.
»Aber warum gehst du nicht ins Dorf und schließt Freundschart mit ihm?« fragte sie.
»Warum zum Teufel sollte ich das tun?« fragte ich.
»Na hör mal. Deine Brüder werden sich die Haare raufen. Und der alte Händler wird außer sich sein vor Freude. Sein Sohn und der Sohn des Marquis!«
»Das ist alles noch kein Grund.«
»Er war in Paris«, sagte sie und sah mich lange an. Dann wandte sie sich wieder ihrem Buch zu.
Ich beobachtete sie beim Lesen, ein Anblick, den ich haßte. Ich wollte sie fragen, wie es ihr gehe und ob ihr Husten sie quäle, aber ich konnte es unmöglich aussprechen.
»Geh schon runter und rede mit ihm, Lestat«, sagte sie, ohne aufzublicken.
4
Ich brauchte eine geschlagene Woche, ehe ich mich aufraffte und Nicolas de Lenfent besuchte.
Ich zog den roten Samtmantel und die gefütterten Wildlederstiefel an und begab mich vor die Dorfschänke auf der Hauptstraße. Der Laden von Nicolas’ Vater lag der Wirtschaft genau gegenüber, aber von Nicolas keine Spur.
Ich hatte gerade genug Geld für ein Glas Wein dabei und wußte nicht so recht, was ich machen sollte, als der Wirt erschien, sich verbeugte und mich in die Schänke bat, um mir eine Flasche seines besten Rebensaftes zu kredenzen.
Diese Leute hatten mich zwar schon immer wie den Sohn des Marquis behandelt, aber es war nicht zu übersehen, daß sich seit der Geschichte mit den Wölfen die Dinge geändert hatten. Und seltsamerweise fühlte ich mich dadurch noch einsamer als sonst.
Kaum hatte ich das erste Glas geleert, erschien Nicolas in seiner ganzen Farbenpracht unter dem Türrahmen. Er war gottlob nicht so herausgeputzt wie neulich, und doch war sein Reichtum nicht zu übersehen. Seide und Samt und funkelnagelneues Leder.
Aber sein Gesicht glühte, als sei er gerade einen langen Weg gerannt, und sein Haar war durcheinander, und seine Augen brannten vor Erregung. Er verbeugte sich in meine Richtung, wartete, bis ich ihn aufforderte, Platz zu nehmen, und dann fragte er mich: »Wie war das, Monsieur, als Sie die Wölfe töteten?« Er stützte die Arme auf den Tisch und starrte mich an.
»Warum erzählen Sie mir nicht, wie es in Paris ist, Monsieur?« entgegnete ich und merkte sofort, daß das spöttisch und unverschämt klang. »Tut mir leid«, sagte ich schnell. »Ich meine es ernst. Haben Sie die Universität besucht? War Mozart wirklich Ihr Lehrer? Was
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