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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Werte mehr. Mode ist alles. Sogar der Atheismus ist eine Mode.«
    Ich hatte schon immer weltliche Ansichten vertreten, aber nicht aus philosophischen Erwägungen heraus. In meiner Familie hatte noch nie jemand so recht an Gott geglaubt. Das gaben sie natürlich nicht zu und gingen regelmäßig zur Messe. Aber nur aus Pflichtgefühl. Wahre Religion gab es in meiner Familie wie bei Tausenden anderer Adelsgeschlechter schon längst nicht mehr. Selbst im Kloster hatte ich nicht an Gott geglaubt. Ich hatte an die Mönche geglaubt.
    Ich versuchte das Nicolas in möglichst schlichter Sprache auseinanderzusetzen, ohne seine Gefühle zu verletzen, da man in seiner Familie anders über diese Dinge dachte. Sogar sein armseliger, geldraffender Vater (den ich heimlich bewunderte) war tiefreligiös.
    »Aber kann der Mensch ohne diesen Glauben leben?« fragte Nicolas fast traurig. »Können Kinder ohne ihn in die Welt treten?«
    Ich verstand allmählich, warum er so sarkastisch und zynisch war. Er hatte erst kürzlich seinen alten Glauben eingebüßt. Das verbitterte ihn. Doch trotz seines beißenden Sarkasmus strahlte er Lebensfreude und eine unwiderstehliche Leidenschaftlichkeit aus. Und dämm fühlte ich mich zu ihm hingezogen. Ich glaube, ich liebte ihn. Noch zwei Gläser Wein, und ich würde ihm ein absolut lächerliches Geständnis machen.
    »Ich bin immer ohne Glauben ausgekommen«, sagte ich.
    »Ja. Ich weiß«, antwortete er. »Können Sie sich an die Geschichte mit den Hexen erinnern? Als Sie am Hexenplatz geweint haben?«
    »Ich? Ober Hexen geweint?« Ich sah ihn einen Moment lang verständnislos an. Aber er hatte an etwas Schmerzliches, Peinliches gerührt. Allzu viele meiner Erinnerungen waren dieser Art. Und jetzt sollte ich mich an ein Geplärr über Hexen erinnern. »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Wir waren noch klein. Der Pfarrer brachte uns die Gebete bei. Und er war es auch, der uns zu der Stelle führte, wo sie früher die Hexen verbrannt haben, zu den alten Scheiterhaufen und der brandgeschwärzten Erde.«
    »Ach, dieser Platz.« Mir schauderte. »Dieser schreckliche, schreckliche Platz.«
    »Sie fingen an zu heulen und zu schreien. Jemand mußte die Marquise herbeirufen, da Ihre Kinderschwester Sie nicht beruhigen konnte.«
    »Ich war ein entsetzliches Kind«, sagte ich und wollte das alles mit einem Achselzucken abtun. Natürlich erinnerte ich mich jetzt - wie ich heulte, nach Hause getragen wurde, Alpträume hatte. Wie mir jemand die Stirn kühlte und rief: »Lestat, wach auf.« Aber ich hatte an diese kleine Szene schon jahrelang nicht mehr gedacht. Allerdings, wann immer ich in die Nähe dieses Platzes geriet, mußte ich an Scheiterhaufen denken, an Männer und Frauen und Kinder, die lebendigen Leibes verbrannt worden waren.
    Nicolas beobachtete mich. »Als Ihre Mutter kam, um Sie abzuholen, hat sie die Ignoranz und Grausamkeit des Pfarrers beschimpft. Sie war furchtbar wütend auf ihn, weil er uns diese alten Geschichten erzählt hatte.«
    Ich nickte. Am schlimmsten war es gewesen, hören zu müssen, daß alle diese längst vergessenen Menschen unseres ureigenen Dorfes für nichts und wieder nichts hatten sterben müssen, daß sie gänzlich unschuldig gewesen waren. »Opfer des Aberglaubens«, hatte sie gesagt. »Es gibt keine Hexen.« Kein Wunder, daß ich mich in Schreikrämpfen gewunden hatte.
    »Meine Mutter dagegen«, sagte Nicolas, »hat eine ganz andere Geschichte erzählt. Die Hexen seien im Bund mit dem Teufel gestanden, hätten Ernten vernichtet und, als Wölfe verkleidet, Schafe und kleine Kinder getötet -«
    »Aber wird die Welt nicht besser sein, wenn man niemals mehr jemanden im Namen Gottes verbrennen kann?« fragte ich. »Wenn der Glaube an Gott verschwindet, damit sich die Menschen nicht mehr derlei antun können? Was soll denn an einer säkularisierten Welt so gefährlich sein, wenn solche Greuel nicht mehr vorkommen können?«
    Nicolas beugte sich vor, die Stirn in Falten gelegt. »Die Wölfe auf dem Berg haben Sie nicht verletzt, oder?« fragte er schmunzelnd. »Sie sind mittlerweile nicht zufällig ein Werwolf geworden, ohne daß wir anderen davon etwas wüßten?« Er zupfte mich an meinem Mantel, den ich noch immer über die Schultern geworfen trug. »Vergessen Sie nicht, was uns der gute Priester erzählt hat - daß sie damals jede Menge Werwölfe verbrannt haben. Sie seien eine ernst-zunehmende Gefahr gewesen.«
    Ich lachte. »Wenn ich mich in einen Wolf verwandele«, antwortete

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