Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Kämpfen und Schlachten um die Vorherrschaft enden, wie jene, von denen mir Akascha erzählt hat, die sich vor vielen tausend Jahren zugetragen haben. Im Grunde sind wir böse Wesen. Wir sind Killer. Es ist besser, wenn die, die sich auf dieser Erde vereinen, sterblich sind und sich zu einem guten Zweck zusammentun.«
Ich akzeptierte es, beschämt über meine Erregung, beschämt über meine Schwächen und mein impulsives Handeln. Und doch hatte ich mich schon wieder in andere Möglichkeiten verrannt.
»Und die Sterblichen, Marius? Hattest du nie den Wunsch, dich ihnen zu offenbaren und ihnen alles zu erzählen?«
Wieder schien er völlig verblüfft.
»Hattest du nie den Wunsch, der Welt von uns zu erzählen? Einfach auf gut Glück. Ist dir das nie besser vorgekommen, als immer im Verborgenen zu leben?«
Er senkte den Blick und stützte das Kinn in die Hand. Zum erstenmal nahm ich ganz deutlich Bilder wahr, die von ihm kamen, und ich hatte das Gefühl, daß er sie mich absichtlich sehen ließ, weil er sich seiner Antwort nicht sicher war. Seine Erinnerungen besaßen eine solche Kraft, daß ich mir geradezu zerbrechlich vorkam neben ihm. Er erinnerte sich an die alten Zeiten, als die Römer noch die Welt regierten und als er noch ein normales menschliches Leben geführt hatte.
»Du weißt noch ganz genau, daß du ihnen alles erzählen wolltest«, sagte ich. »Damit diese Ungeheuerlichkeit ans Tageslicht käme.«
»Vielleicht«, sagte er. »Ganz zu Anfang, da hatte ich den Wunsch, mit ihnen in Verbindung zu treten.«
»Ja, in Verbindung zu treten«, sagte ich und klammerte mich an diesen Begriff. Ich mußte an die Nacht in Paris denken, damals, vor langer Zeit, als ich auf der Bühne stand und die Zuschauer so erschreckt hatte.
»Aber das war ganz zu Anfang, in blasser Vorzeit«, sagte er langsam und meinte sich selbst. Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze, als sie durch all die Jahrhunderte zurückblickten. »Es wäre dumm, es wäre Wahnsinn. Wenn die Menschheit je wirklich an uns glauben würde, dann wären wir verloren. Man würde uns ausrotten. Und ich habe keine Lust, mich ausrotten zu lassen oder ähnlichem Unheil zu begegnen.« Ich schwieg. »Aber du selbst bist ja auch nicht gerade darauf versessen, unser Geheimnis preiszugeben «, sagte er fast besänftigend.
Doch, das bin ich doch, dachte ich. Ich fühlte seine Finger auf meiner Hand. Ich blickte an ihm vorbei in meine eigene kurze Vergangenheit - das Theater, meine Märchenträume. Ich war wie gelähmt vor Traurigkeit.
»Du leidest unter deiner Einsamkeit und Monstrosität«, sagte er. »Und du bist impulsiv und trotzig.«
»Das stimmt.«
»Aber was würde es schon ändern, wenn irgend jemand davon erführe. Niemand kann vergeben. Niemand kann wiedergutmachen. Es wäre kindisch, so etwas zu glauben. Gib dich ruhig preis und laß dich vernichten! Aber was hast du dann davon? Der Wilde Garten würde das, was von dir noch übrig wäre, stillschweigend verschlucken. Es gibt keine Gerechtigkeit, und auch kein Mitgefühl.«
Ich nickte. Ich fühlte seine Hand auf der meinen. Dann stand er langsam auf, und ich stand auch auf, zögernd, aber nachgiebig.
»Es ist schon spät«, sagte er mit weicher Stimme und sah mich liebevoll an. »Für den Augenblick haben wir genug geredet. Ich muß jetzt hinunter ins Dorf, zu meinen Leuten. Dort gibt es Schwierigkeiten, wie ich befürchtet hatte. Und es wird die ganze Nacht dauern, bis zum Morgengrauen, und morgen abend auch. Es wird weit nach Mittemacht sein, bevor wir morgen weiterreden können -«
Er schien wieder abgelenkt, denn er neigte den Kopf und lauschte.
»Ja, ich muß jetzt gehen«, sagte er. Und wir umarmten uns kurz und innig.
Und obgleich ich ihn gern begleitet hätte, um zu sehen, was im Dorf geschah – wie er dort seine Angelegenheiten regelte -, hatte ich genauso das Bedürfnis, wieder in meine Räume zu gehen und hinaus aufs Meer zu sehen und schließlich einzuschlafen.
»Du wirst hungrig sein, wenn du aufstehst«, sagte er. »Ich werde dir ein Opfer bringen. Hab Geduld, bis ich zurückkomme.«
»Ja, natürlich…«
»Und morgen, während du auf mich wartest«, sagte er, »fühl dich hier wie zu Hause. Die alten Schriftrollen sind in den Kisten in der Bibliothek. Du darfst sie dir ruhig ansehen. Du kannst überall hingehen. Nur nicht in die Nähe der heiligen Stätte JENER, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN. Geh nicht die Treppe hinunter.«
Ich nickte.
Ich wollte ihn noch etwas fragen.
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