Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
immer umarmt hatten. Und dann strichen meine Hände über seine Haare und sein Gesicht, und ich sah ihn mir an, als würde er mir gehören. Und er machte das gleiche mit mir. Als würden wir reden und doch nicht reden. Wahrhaft stumme Stimmen, ohne Worte. Wir nickten uns zu. Und ich konnte seine überströmende Zuneigung spüren, und seine fiebernde Befriedigung, fast so stark wie meine.
Doch plötzlich wurde er ganz still, und sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich dachte, du wärst tot und fort, weißt du«, sagte er. Er war kaum zu hören.
»Wie hast du mich hier gefunden?« fragte ich.
»Weil du es so wolltest«, erwiderte er. Das Aufflammen unschuldiger Verwirrung. Er zuckte die Achseln, ganz langsam nur.
Alles, was er tat, wirkte anziehend auf mich, genauso wie vor hundert Jahren. Finger, so lang und zart, und doch so starke Hände.
»Du hast dich mir gezeigt, und du hast dafür gesorgt, daß ich dir folge«, sagte er. »Du bist die Divisadero Street rauf- und runtergefahren und hast mich gesucht.«
»Und warst du noch dort?«
»Für mich ist es der sicherste Ort auf der Welt«, sagte er. »Ich bin nie weggegangen von dort. Sie sind gekommen und haben nach mir gesucht, aber sie haben mich nicht gefunden, und da sind sie wieder weggegangen. Und jetzt gehe ich zwischen ihnen herum, wann immer ich will, und sie merken es gar nicht. Sie wissen nicht einmal, wie ich aussehe.«
»Aber wenn sie es wüßten, würden sie versuchen, dich zu vernichten«, sagte ich. »Ja«, erwiderte er. »Aber das versuchen sie schon die ganze Zeit, seit dem Theater der Vampire und allem, was dort passiert ist. Natürlich hat ihnen das Gespräch mit dem Vampir wieder einen neuen Grund geliefert. Aber sie brauchen gar keinen besonderen Grund, um ihre kleinen Spielchen zu spielen. Sie brauchen nur den Nervenkitzel, die Erregung. Davon leben sie, wie von Blut.« Für einen Augenblick klang seine Stimme bedrückt.
Dann holte er tief Luft. Schwierig, über all diese Dinge zu reden. Wieder verspürte ich den Wunsch, meinen Arm um seine Schultern zu legen, aber ich tat es nicht. »Aber im Moment haben sie es, glaube ich, auf dich abgesehen. Und wie du aussiehst, das wissen sie genau.« Ein kleines Lächeln. »Alle wissen, wie du aussiehst. Monsieur Le Rockstar.«
Das Lächeln breitete sich auf seinem ganzen Gesicht aus. Aber seine Stimme war höflich und leise, so wie sie immer gewesen war. Und das Gesicht war in Gefühle getaucht. Es hatte sich noch kein bißchen verändert. Vielleicht würde es sich nie verändern.
Ich legte den Arm um seine Schultern, und wir gingen zusammen weg vom Haus, weg vom Licht. Wir gingen an dem großen grauen Koloß des Hubschraubers vorbei, über das trockene, von der Sonne ausgedörrte Feld zu den Hügeln.
Ich glaube, so glücklich kann man gar nicht sein, ohne sich elend zu fühlen, soviel Zufriedenheit heißt zu verbrennen.
»Wirst du es wirklich geben?« fragte er. »Das Konzert morgen abend?« Gefahr für um alle. War das eine Warnung gewesen oder eine Drohung?
»Ja, natürlich«, sagte ich. »Was zum Teufel sollte mich daran hindern?«
»Ich würde dich gern daran hindern«, erwiderte er. »Ich wäre schon früher gekommen, wenn ich gekonnt hätte. Ich hatte dich schon vor einer Woche ausfindig gemacht, aber dann hab ich dich wieder aus den Augen verloren.«
»Und warum willst du mich daran hindern?«
»Du weißt warum«, sagte er. »Ich muß mit dir reden.« So einfache Worte, und doch so bedeutsam.
»Dafür wird hinterher Zeit sein«, erwiderte ich. »Morgen und übermorgen und überübermorgen. Es wird schon nichts passieren, Du wirst sehen.« Immer wieder mußte ich meinen Blick von ihm abwenden, als würden mir seine grünen Augen weh tun. Tödlich und delikat wirkte sein Blick; alle seine Opfer haben ihn geliebt. Und ich hatte ihn auch immer geliebt, nicht wahr, was auch immer geschehen war, und wie groß konnte die Liebe werden, wenn man sie bis in alle Ewigkeit hegen und pflegen konnte und wenn nur diese paar wenigen Augenblicke Zeit nötig waren, um sie wieder in Schwung zu bringen, sie anzuheizen?
»Wie kannst du dir dessen so sicher sein, Lestat?« fragte er. So vielversprechend, wie er meinen Namen sagte. Ich selbst hatte es noch nicht über mich gebracht, ihn auf diese ganz natürliche Weise Louis zu nennen.
Wir gingen jetzt langsam, ohne Ziel, und er hatte den Arm um mich gelegt, ganz locker, so wie ich meinen um ihn gelegt hatte.
»Ich habe ein ganzes Bataillon Sterblicher,
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