Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
er sehen und ohnehin nicht hätte ändern können. Aber vielleicht war der Druide inzwischen einfach zu stark für ihn; der Druide umhüllte sich und seinen Schützling, ließ niemanden einen Blick gewähren. Entweder das, oder die Königin hatte ihr Werk vernichtet, und dann Sela, Psalmenende.
JESSE
So ruhig hier. Sie lag auf einem Bett, das gleichzeitig hart und weich war, und ihr Körper war so schlaff wie der einer aus Lumpen zusammengenähten Puppe. Sie konnte ihre Hand heben, die dann aber gleich wieder hinabsank, und sehen konnte sie immer noch nicht, höchstens verschwommene Umrisse, was vielleicht auch reine Einbildung war.
Beispielsweise die Lampen in ihrer Nähe; altertümliche, fischförmige Tonlampen, mit Öl gefüllt. Sie schwängerten den Raum mit einem schweren Geruch. War das eine Leichenhalle? Wieder beschlich sie die Angst, tot zu sein, eingeschlossen ins ‘Fleisch und dennoch von ihm getrennt. Sie hörte ein seltsames Geräusch; was war das? Das Klappern einer Schere. Ihr wurden die Haare geschnitten; ein Gefühl, das sich bis zur Schädeldecke, ja, bis in die Eingeweide fortsetzte.
Ein kleines einzelnes Haar wurde ihr plötzlich aus dem Gesicht gezupft; eines jener lästigen Haare, die Frauen so viel Kummer bereiten. Sie wurde für den Sarg zurechtgemacht, oder?
Aber der Schmerz kam wieder, ein elektrischer Blitz, der ihr durch den Rücken fuhr, und sie schrie auf. Sie schrie laut auf in diesem Zimmer, in dem sie erst vor wenigen Stunden gewesen war, in diesem Bett mit seinen quietschenden Ketten.
Sie hörte, wie jemand in ihrer Nähe keuchte. Sie versuchte, etwas zu sehen, aber sie sah bloß wieder die Lampe. Und eine undeutliche Figur im Fenster. Miriam beobachtete sie.
»Wo?« fragte er. Er war erstaunt, versuchte, die Vision zu sehen. Hatte sich das nicht vorher zugetragen?
»Warum kann ich meine Augen nicht öffnen?« fragte sie. Er konnte da hinblicken, so lange er wollte, und er würde Miriam niemals sehen.
»Deine Augen sind geöffnet«, sagte er. Wie roh und sanft seine Stimme klang. »Mehr kann ich dir nicht geben, es sei denn, ich gebe dir alles. Wir sind keine Gesundbeter. Wir sind Mörder. Es wird Zeit, daß du mir sagst, was du willst. Mir hilft niemand.«
Ich weiß nicht, was ich will. Ich weiß nur, daß ich nicht sterben will!
Was sind wir doch für Feiglinge, dachte sie, was für Lügner. Eine große, fatalistische Traurigkeit hatte sie bis zu dieser Nacht stets begleitet, doch ebenso die heimliche Hoffnung, nicht nur zuzusehen, sondern zu wissen, ein Teil zu sein dieser…
Sie wollte es erklären, in ausgefeilten, hörbaren Worten darlegen, aber der Schmerz kam wieder. Wie eine lodernde Fackel zog er durch ihr Rückgrat bis in die Beine hinunter. Und dann wurde ihr Körper taub. Es schien, als verdunkle sich das Zimmer, das sie nicht sehen konnte. Draußen flüsterte der Wald in der Dunkelheit. Mael umklammerte ihr Handgelenk nur noch ganz schwach, nicht weil er es langsam losließ, sondern weil sie nichts mehr spüren konnte.
»Jesse!«
Er rüttelte sie mit beiden Händen, und der Schmerz war wie ein Blitz in der Dunkelheit. Sie schrie durch ihre zusammengebissenen Zähne. Miriam, versteinert und stumm, starrte vom Fenster aus wütend zu ihnen hinüber.
»Mael, mach es!« rief sie.
Unter größter Anstrengung richtete sie sich im Bett auf. Grenzenloser Schmerz; der Schrei erstickte in ihrer Brust. Aber dann öffnete sie die Augen, öffnete sie wirklich. Durch das diesige Licht sah sie Miriams kaltes, gnadenloses Gesicht. Sie sah Maels gebeugte Gestalt über ihrem Bett aufragen. Und dann wandte sie sich der geöffneten Tür zu. Maharet kam.
Mael merkte es erst, als sie es gewahrte. Mit leichten, weichen Schritten und raschelnden Röcken kam Maharet die Treppe hoch; sie kam den Gang herunter.
Oh, nach all diesen Jahren, diesen langen Jahren! Tränenverschleiert sah Jesse, wie Maharet in das Licht der Lampen trat; sie sah ihr schimmerndes Gesicht, die brennende Durchsichtigkeit ihres Haars. Maharet gab Mael ein Zeichen, sie allein zu lassen. Dann näherte sich Maharet dem Bett. Einladend hob sie ihre Hände, als wollte sie ein Baby in Empfang nehmen. »Ja, mach es.«
»Dann, mein Liebling, sage Miriam Lebewohl.«
Im alten Karthago gab es einen schrecklichen Kult. Die Bevölkerung opferte ihre kleinen Kinder einer großen Bronzestatue des Gottes Baal. Die kleinen Körper wurden auf die ausgestreckten Arme der Gottheit gelegt, und dann hoben sich die Arme
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