Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
übrig?
Wie von Zauberhand bewegt, öffneten sich uns die Holzportale. Wir durchschritten stumm einen langen Korridor mit weißen Marmorsäulen und verzierten Bögen und näherten uns rasch einem riesigen Raum in der Mitte des Tempels. Und der Saal war voll von rasenden, kreischenden Gläubigen, die unsere Gegenwart nicht einmal wahrnahmen, während sie zu tanzen fortfuhren, zu singen, in die Luft zu springen, in der Hoffnung, einen Blick ihres großen Gottes zu erhaschen.
»Halte dich an meiner Seite, Lestat«, sagte sie.
Die Menge teilte sich, Körper drängten sich zur Linken und zur Rechten. Anstelle des Gesanges ertönte Geschrei; alles war in Aufruhr, als sich für uns ein Pfad öffnete, der zur Mitte des Raumes führte. Die Zimbeln und Trommeln schwiegen; Gestöhn und leise, erbarmungswürdige Schreie umbrandeten uns.
Ein gewaltiger Seufzer des Erstaunens erhob sich, als Akascha vortrat und ihren Schleier zurückwarf.
Weiter hinten stand der Blutgott Azim, angetan mit einem schwarzen Seidenturban und juwelenbesetzten Gewändern. Sein Gesicht war wutverzerrt, als er Akascha und mich anstarrte.
Gebete ertönten aus der Menge um uns herum; eine gellende Stimme intonierte eine Hymne an »Die ewige Mutter«.
»Ruhe!« befahl Azim. Ich kannte die Sprache nicht, aber ich verstand das Wort.
Ich konnte den Klang menschlichen Blutes in seiner Stimme hören, ich konnte es durch seine Adern fließen sehen. Ich hatte in der Tat noch nie einen Vampir oder Bluttrinker gesehen, der so randvoll mit menschlichem Blut war. Er war sicher so alt wie Marius, doch seine Haut war von einem dunklen, goldenen Glanz; sie war ganz und gar von einem dünnen Schleier aus Blutschweiß überzogen.
»Ihr wagt es, in meinen Tempel zu kommen?« sagte er, und wieder war mir die Sprache nicht geläufig, aber der Sinn war mir auf telepathische Weise klar.
»Ihr werdet jetzt sterben!« sagte Akascha mit sanfter Stimme. »Ihr, die ihr diese hoffnungslosen Unschuldigen irrgeleitet habt; ihr, die ihr euch an ihrem Leben und ihrem Blut wie aufgedunsene Blutegel gelabt habt.«
Die Gläubigen schrien auf, flehten um Gnade. Wieder befahl ihnen Azim, ruhig zu sein.
»Welches Recht habt ihr, meinen Gottesdienst zu verdammen«, schrie er und wies mit dem Finger auf uns, »ihr, die ihr seit Urzeiten reglos auf eurem Thron gesessen seid?!«
»Die Zeit hat nicht mit dir ihren Anfang genommen, mein fluchbeladener Schatz«, antwortete Akascha. »Ich war schon alt, als du geboren wurdest. Und meine Stunde ist gekommen, die Herrschaft zu übernehmen, wie es mir bestimmt war. Und du wirst sterben, was deinen Leuten eine Lektion sein soll. Du bist mein erster großer Märtyrer. Du wirst jetzt sterben!«
Er versuchte, sich auf sie zu stürzen; und ich wollte zwischen sie treten, aber es ging alles viel zu schnell. Mit unsichtbaren Kräften fing sie ihn ab und stieß ihn zurück, so daß er schwankend über den Marmorboden schlitterte, beinahe hinfiel und dann tänzelnd und mit rollenden Augen sein Gleichgewicht wiederzuerlangen suchte.
Ein tiefer, gurgelnder Schrei: Er brannte. Seine Kleider brannten, und dann stieg der Rauch aus ihm auf, grau und dünn und gekräuselt, während die erschreckte Menge in Jammern und Wehgeschrei ausbrach. Er krümmte sich in der Hitze, die ihn verzehrte; dann plötzlich schnellte er herum, erhob sich, starrte sie an und flog mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
Es schien, als würde er ihrer habhaft werden, noch ehe sie einen Gedanken fassen konnte. Und wieder versuchte ich, vor sie zu treten, doch blitzschnell streckte sie ihre rechte Hand aus und warf mich in das Menschengewühl. Überall halbnackte Körper, die sich mühten, mir zu entfliehen.
Ich sah, wie er keinen Meter vor ihr stand, sie anschnaubte und sie mit einer unsichtbaren und unüberwindbaren Macht zu bezwingen suchte.
»Stirb, Verdammter!« schrie sie, und ich hielt mir die Ohren zu. »Fahr in den Schlund des Verderbens.«
Azims Kopf explodierte. Rauch und Flammen schössen aus seinem zersprungenen Schädel. Seine Augen wurden schwarz. Ein Blitz, und sein Körper stand in Flammen; er ging nieder, die Faust gegen sie erhoben, die Beine gewunden, als wollte er sich wieder hochrappeln. Dann verschwand er in einem großen, orangefarbenen Geloder.
Panik bemächtigte sich der Menge. Körper schmetterten gegen die schlanken Marmorsäulen, Männer und Frauen wurden zermalmt, als die anderen über sie hinweg den Türen entgegenrasten.
Akascha drehte sich
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