Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Sie blickte in das Tal hinunter, auf den Pfad, auf die Pilger, die nun den Rückzug antraten, da ihnen die Frauen die frohe Botschaft verkündeten.
Ich hörte Schreie sich an der Bergwand brechen. Ich hörte die Männer da unten sterben, als sie sie leichthin mit dem unsichtbaren Strahl ihrer Macht niederstreckte. Und die Frauen, die verwirrt etwas von Wundern und Visionen stammelten. Und dann erhob sich der Wind und verschlang alles; der große, gleichgültige Wind. Einen Augenblick lang sah ich ihr schimmerndes Gesicht; sie ging auf mich zu, und ich dachte, daß dies wieder der Tod sei, der Tod, der sich näherte, die Wälder und die Wölfe, die sich näherten, und nirgendwo war ein Versteck; und dann schlössen sich meine Augen.
Als ich erwachte, war ich in einem kleinen Haus. Ich wußte nicht, wie wir dahingekommen waren oder wie lange das Blutbad in den Bergen schon her war. Die Stimmen hatten mich überflutet, und hin und wieder wurde ich von einem Traum heimgesucht, einem schrecklichen, doch vertrauten Traum, in dem ich zwei rothaarige Frauen sah. Sie knieten neben einem Altar, auf dem ein toter Körper lag, und waren bereit, ein Ritual von entscheidender Bedeutung durchzurühren. Verzweifelt hatte ich mich bemüht, den Inhalt des Traums zu verstehen, denn alles schien von ihm abzuhängen; ich durfte ihn nicht wieder vergessen.
Aber jetzt entschwand das alles. Die Stimmen, die unwillkommenen Bilder; die Wirklichkeit drängte sich auf. Ich lag in einer dunklen und schmutzigen Stätte, die von fauligen Gerüchen durchzogen war. In kleinen Behausungen um uns herum lebten Sterbliche in größtem Elend, Babys schrien vor Hunger inmitten des Gestanks von Herdfeuern und ranzigem Fett.
Krieg herrschte hier, richtiger Krieg. Nicht so ein wahlloses Durcheinander wie im Gebirge, sondern ein regelrechter moderner Krieg.
Die Seelen der Geplagten vermittelten mir ein paar flüchtige Eindrücke - eine unendliche Folge von Metzeleien und Gefahren: Busse brannten, während die Menschen drinnen gegen die Fensterschreiben trommelten; Lastwagen explodierten, Frauen und Kinder flohen vor den Garben der Maschinengewehre.
Ich lag auf dem Fußboden, als hätte mich irgend jemand dahingeworfen. Und Akascha stand in der Tür und blickte in die Dunkelheit hinaus.
Als ich mich auf die Füße gerappelt hatte und neben ihr stand, sah ich eine schmale Schlammstraße voller Pfützen, die zu beiden Seiten mit kleinen Behausungen gesäumt war; einige hatten Wellblechdächer, andere waren mit durchhängenden Zeitungen bedeckt. An den schmutzstarrenden Wänden kauerten schlafende Männer, die von Kopf bis Fuß eingehüllt waren wie in Leichentücher. Aber sie waren nicht tot, und die Ratten, deren sie sich zu erwehren suchten, wußten es. Und die Ratten knabberten an ihren Lumpen, und die Männer zuckten und ruckten im Schlaf.
Es war heiß hier, und die Wärme brachte den Gestank zum Kochen - Urin, Fäkalien, das Erbrochene sterbender Kinder. Ich konnte sogar den Hunger der Kinder riechen. Ich konnte die dumpfigen Ausdünstungen der Rinnsteine und Senkgruben riechen.
Dies war kein Dorf; es war eine Ansammlung von Schuppen und Hütten und Hoffnungslosigkeit. Leichen lagen zwischen den Behausungen, Krankheiten grassierten, und die Alten und die Kranken saßen stumm im Dunkeln, träumten von nichts oder vom Tod vielleicht, der nichts war.
Jetzt kam ein Kind mit geschwollenem Bauch die Straße entlanggezockelt, plärrte, während es sich mit kleiner Faust sein geschwollenes Auge rieb.
Es schien uns in der Dunkelheit nicht zu bemerken. Weinend ging es von Tür zu Tür, und seine weiche braune Haut glänzte in dem fahlen Geflacker der Herdfeuer.
»Wo sind wir?« fragte ich Akascha.
Mit Erstaunen sah ich, wie sie sich umdrehte und die Hand hob, um mir zärtlich das Haar und das Gesicht zu streicheln. Erleichterung durchfuhr mich. Sie zürnte mir also nicht. »Mein armer Krieger«, sagte sie. Ihre Augen waren mit Bluttränen gefüllt. »Weißt du nicht, wo wir sind?«
Sie sprach langsam, nahe an meinem Ohr. »Soll ich die poetischen Namen hersagen?« fragte sie. »Kalkutta vielleicht, oder Äthiopien oder die Straßen von Bombay; diese armen Seelen könnten die Bauern von Sri Lanka sein oder von Pakistan oder Nicaragua oder El Salvador. Es spielt keine Rolle, welcher Ort es ist; eine Rolle spielt, wie viele solcher Orte es gibt; eine Rolle spielt, daß rund um eure glitzernden westlichen Städte solches Elend herrscht, daß es drei
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