Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
siechte sie gelähmt im Halbschlaf dahin. Wir saßen Tag und Nacht bei ihr und sangen ihr vor. Wir brachten ihr Blumen und versuchten, ihre Gedanken zu lesen. Die Geister, die sie liebten, waren fürchterlich aufgeregt. Und sie ließen den Wind um den Berg wehen, sie rissen die Blätter von den Bäumen.
    Das ganze Dorf trauerte. Dann ordneten sich eines Morgens die Gedanken unserer Mutter wieder, aber es waren nur Bruchstücke.
    Wir sahen sonnenbeschienene Felder und Blumen und Bilder aus ihrer Kindheit und dann nur noch leuchtende Farben und wenig mehr.
    Wir wußten, daß unsere Mutter starb, und die Geister wußten es auch. Wir taten unser Bestes, sie zu beruhigen, aber einige von ihnen waren rasend. Wenn sie starb, würde ihr Geist aufsteigen und durch das Reich der Geister fahren, und sie würden sie für immer verlieren und vor Gram verrückt werden.
    Aber schließlich geschah es, wie es nur natürlich und unausbleiblich war, und wir kamen aus der Höhle heraus und teilten den Dorfbewohnern mit, daß unsere Mutter in höhere Gefilde aufgestiegen war. Alle Bäume auf dem Berg wurden von dem Sturm erfaßt, den die Geister entfesselten; die Luft war voller grüner Blätter. Meine Schwester und ich weinten; und durch den Sturm hindurch glaubte ich, das Weinen und Wehklagen der Geister zu hören.
    Und sogleich unternahmen die Dorfbewohner das Notwendige.
    Zunächst wurde unsere Mutter auf einer Steinplatte aufgebahrt, wie es Brauch war, damit alle kommen und ihr die Ehre erweisen konnten. Sie war in das weiße Gewand aus ägyptischem Leinen gekleidet, das sie zu Lebzeiten so geliebt hatte,
    und trug all ihren schönen Schmuck aus Ninive und die beinernen Ringe und Halsbänder, in denen winzige Überreste unserer Ahnen eingeschlossen waren und die bald uns gehören würden.
    Und nach zehn Stunden, als Hunderte sowohl aus unserem Dorf als auch aus den umliegenden Dörfern gekommen waren, bereiteten wir den Leib für den Leichenschmaus vor. Jedem anderen Toten des Dorfes hätten die Priester diese Ehre erwiesen. Aber wir waren Hexen, und unsere Mutter war eine Hexe; nur wir durften sie berühren. Beim Licht der Öllampen, abgesondert von den anderen, entkleideten meine Schwester und ich unsere Mutter und bedeckten ihren Leib mit frischen Blumen und Blättern. Wir sägten ihren Schädel auf, hoben das Oberteil vorsichtig an, damit die Stirn heil blieb, und entnahmen dann ihr Hirn und legten es auf einen Teller zu ihren Augen. Dann entnahmen wir in einer ebenso vorsichtigen Operation das Herz und legten es auf einen zweiten Teller. Anschließend wurden die Teller mit starken Tonhauben abgedeckt.
    Dann kamen die Dorfbewohner wieder heran und bauten rund um den Körper unserer Mutter auf der Steinplatte und um die Teller neben ihr einen steinernen Ofen, und sie legten Feuer in den Ofen, unter die Steinplatte zwischen die Felsbrocken, auf denen sie ruhte, und das Braten begann.
    Es dauerte die ganze Nacht. Die Geister hatten sich beruhigt, daß der Geist unserer Mutter aufgestiegen war. Ich glaube nicht, daß der Körper ihnen wichtig war; was wir jetzt taten, war für sie nicht wichtig, aber natürlich war es wichtig für uns.
    Weil wir Hexen waren und unsere Mutter eine Hexe war, würden nur wir allein ihr Fleisch verzehren. Nach Brauch und Recht stand es allein uns zu. Die Dorfbewohner durften uns beim Leichenschmaus nicht unterstützen, wie sie es sonst getan hätten, wenn nur zwei Nachkommen diese Pflicht zu erfüllen hatten. Gleichgültig, wie lange es dauerte, wir würden das Fleisch unserer Mutter verzehren. Und die Dorrbewohner würden uns beobachten.
    Doch während die Nacht voranschritt und die Überreste unserer Mutter im Ofen zubereitet wurden, besprachen meine Schwester und ich uns wegen des Herzens und des Hirns. Natürlich würden wir diese Organe teilen; was uns beschäftigte, war, wer welches Organ erhalten sollte; denn wir hatten feste Ansichten über diese Organe und das, was ihnen innewohnte.
    Für viele Menschen jener Zeit kam es auf das Herz an. Für die Ägypter zum Beispiel war das Herz der Sitz des Gewissens.
    Das galt auch für die Menschen in unserem Dorf; aber wir als Hexen glaubten, daß das Hirn den menschlichen Geist beherbergte: das heißt, das Geistige in jedem Mann und jeder Frau, das den atmosphärischen Geistern glich. Und unser Glaube an die Bedeutung des Hirns leitete sich von der Tatsache her, daß die Augen mit dem Hirn verbunden sind, und die Augen sind die Organe des Sehens. Und

Weitere Kostenlose Bücher