Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Gefängnis bequem hatten. Er brachte uns frisches Leinen und Obst zu essen und Bier zu trinken. Er brachte uns sogar Kämme für unser Haar und saubere Kleider, und zum ersten Mal sprach er zu uns; er erzählte uns, die Königin sei sanft und gut, und wir dürften keine Angst haben.
Wir wußten, daß er die Wahrheit sprach, daran bestand kein Zweifel; aber etwas stimmte nicht, wie vor Monaten mit den Worten von des Königs Boten. Unsere Prüfungen hatten erst begonnen.
Auch fürchteten wir, daß die Geister uns verlassen hatten, daß sie womöglich nicht unsertwegen in dieses Land kommen wollten. Doch wir riefen die Geister nicht an, denn sie anzurufen und keine Antwort zu bekommen - das wäre mehr gewesen, als wir ertragen konnten.
Dann kam der Abend, und die Königin schickte nach uns, und wir wurden vor den Hof geführt. Das Schauspiel überwältigte uns, auch wenn wir es verabscheuten:
Akascha und Enkil auf ihren Thronen. Die Königin war damals genauso, wie sie jetzt ist - eine Frau mit geraden Schultern und festen Gliedmaßen und einem Gesicht, das fast zu fein war, um Intelligenz auszustrahlen; ein Wesen von verführerischer Schönheit mit einer weichen, hohen Stimme. Was den König betraf, so sahen wir ihn jetzt nicht als Soldaten, sondern als Souverän. Sein Haar war geflochten, und er trug seinen feierlichen Rock und Schmuck. Seine schwarzen Augen waren voller Ernst wie immer, doch war es augenblicklich klar, daß es Akascha war und immer gewesen war, die über dieses Königreich herrschte. Akascha verfügte über die Sprache - über Wortgewalt.
Sie sagte uns sofort, daß unser Volk für seine Greueltaten geziemend gestraft worden sei, daß es gnädig behandelt worden sei, da alle Fleischesser Wilde seien und, von Rechts wegen, einen langsamen Tod erleiden sollten. Und sie sagte, daß man uns Gnade erwiesen habe, weil wir Hexen seien und die Ägypter von uns lernen wollten; sie wollten wissen, welche Kenntnisse über das Reich des Unsichtbaren wir zu vermitteln hätten.
Unverzüglich, als bedeuteten diese Worte nichts, ging sie dazu über, ihre Fragen zu stellen. Wer waren unsere Dämonen? Warum waren einige gut, wenn sie doch Dämonen waren? Waren sie nicht Götter? Wie konnten wir es regnen lassen?
Wir waren zu entsetzt von ihrer Härte, um antworten zu können. Wir waren verletzt von ihrer Grobheit und hatten wieder zu weinen begonnen. Wir wandten uns von ihr ab und sanken einander in die Arme.
Aber etwas anderes wurde uns auch klar - etwas, das die Art und Weise, in der diese Person sprach, ganz deutlich machte. Die Hast ihrer Worte, die Leichtfertigkeit, die Betonung, die sie auf diese oder jene Silbe legte - all das zeigte uns, daß sie log und daß sie selbst nicht wußte, daß sie log.
Und als wir unsere Augen schlössen und tief in die Lüge hineinsahen, erkannten wir die Wahrheit, die sie selbst sicherlich geleugnet hätte: Sie hatte unser Volk abgeschlachtet, um uns hierherzubringen! Sie hatte ihren König und ihre Soldaten in diesen >heiligen< Krieg geschickt, weil wir ihre frühere Einladung ausgeschlagen hatten und sie uns in ihrer Gewalt haben wollte. Sie war neugierig auf uns.
Das war es, was unsere Mutter gesehen hatte, als sie die Tafel des Königs und der Königin in der Hand gehalten hatte. Vielleicht hatten es die Geister auf ihre eigene Art vorhergesehen. Wir begriffen die ganze Ungeheuerlichkeit erst jetzt.
Unser Volk war gestorben, weil wir die Aufmerksamkeit der Königin erregt hatten, wie wir auch die Aufmerksamkeit der Geister erregten; wir hatten dieses Unheil über alle gebracht.
Warum, fragten wir uns, hatten die Soldaten uns nicht einfach aus der Mitte unserer hilflosen Dorfbewohner entführt?
Warum hatten sie alles, was unser Volk ausmachte, auslöschen müssen?
Aber das war das Grausige! Ein moralischer Deckmantel war über die Absichten unserer Königin geworfen worden, ein Mantel, durch den sie selbst auch nicht mehr sehen konnte als jeder andere.
Sie hatte sich eingeredet, daß unsere Landsleute sterben mußten, daß sie es wegen ihrer Barbarei nicht anders verdienten. Und war es nicht sehr praktisch, daß sie uns verschonen und hierherbringen ließ, damit wir endlich ihre Neugier befriedigten? Und natürlich würden wir bis dahin dankbar sein und bereitwillig ihre Fragen beantworten.
Und noch weiter hinter der Fassade ihres Selbstbetruges erkannten wir den Geist, der solche Widersprüche möglich machte.
Die Königin besaß keine echte Moral, keine
Weitere Kostenlose Bücher