Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Kind geweint habe. Er öffnete die Augen, als seine Tochter seine Hand ergriff. »Ich weiß jetzt, was sie ihnen angetan haben«, sagte er. »Ich habe sie gesehen, diese Freveltat!«
Seine Tochter versuchte, ihn zu beruhigen. Sie erzählte ihm, daß sie die Frau angerufen habe. Die Frau sei bereits unterwegs. »Sie war nicht in Bangkok, Daddy. Sie ist nach Burma gezogen, nach Rangun. Aber dort habe ich sie erreicht, und sie hat sich gefreut, von dir zu hören. Sie sagte, sie würde sich gleich auf den Weg machen. Sie möchte alles über die Träume erfahren.«
Er war überglücklich. Sie würde kommen. Er schloß die Augen und bettete seinen Kopf ins Kissen. »Die Träume werden wieder anfangen, sobald es dunkel ist«, flüsterte er. »Die ganze Tragödie wird wieder anfangen.«
»Ruh dich aus, Daddy«, sagte sie. »Bis sie kommt.«
Irgendwann in dieser Nacht ist er gestorben. Als seine Tochter das Zimmer betrat, war er schon kalt. Die Krankenschwester wartete auf ihre Anweisungen. Er hatte den stumpfen, starren Blick der Toten. Sein Bleistift lag auf der Bettdecke, und in seiner rechten Hand hielt er ein zerknülltes Stück Papier - das Deckblatt seines kostbaren Buches. Sie weinte nicht. Einen Augenblick blieb sie reglos stehen. Sie erinnerte sich an Palästina, an die Taschenlampe. »Siehst du sie? Die beiden Frauen?«
Sanft schloß sie seine Augen und küßte seine Stirn. Er hatte etwas auf das Blatt
Papier geschrieben. Sie öffnete seine kalten, steifen Finger und nahm das Papier und las die wenigen Worte, die er zittrig niedergekritzelt hatte:
»IN DEN DSCHUNGELN - UMHERSCHWEIFEND.«
Was konnte das bedeuten?
Es war jetzt zu spät, die Frau noch zu verständigen. Wahrscheinlich würde sie irgendwann gegen Abend eintreffen. Den ganzen Weg…
Nun gut, sie würde ihr das Blatt Papier geben und ihr alles erzählen, was er über die Zwillinge berichtet hatte.
2
Das kurze und glückliche Leben der Baby Jenks und der Fangzahnbande
Der Mörder-Bürger ist hier zu haben.
Sie müssen nicht an der Himmelspforte auf einen ungesäuerten Tod warten.
Schon an der nächsten Ecke kann es Sie erwischen.
Mayonnaise, Zwiebel, reichlich Fleisch.
Wer füttern will muß schlingen.
»Sie kommen bald Zurück.«
»Und ob, viel Glück.«
Stan Rice
Texas Suite
Baby Jenks schraubte ihre Harley auf hundertzehn Stundenkilometer hoch, der Wind ließ ihre nackten weißen Hände erstarren. Vorigen Sommer war sie vierzehn geworden, als sie’s ihr besorgt haben, sie zu einer der Toten gemacht haben, und »Totengewicht« wog sie höchstens siebenundsiebzig Pfund. Seitdem hatte sie ihr Haar nicht mehr gekämmt. Der Fahrtwind fegte ihre blonden Strähnen nach hinten, über die Schultern ihrer schwarzen Lederjacke. Mit ihrem finsteren Blick und dem Schmollmündchen über den Lenker gebeugt, sah sie ebenso hundsgemein wie täuschend niedlich aus.
Die Rockmusik der Vampire Lestat-Band plärrte so laut durch ihre Kopfhörer, daß sie nur noch die Vibrationen ihrer schweren Maschine empfand sowie die irrsinnige Einsamkeit, unter der sie litt, seit sie vor fünf Nächten von Gun Barrel City abgedampft war. Außerdem beunruhigte sie noch ein Traum, ein Traum, der sie jede Nacht heimsuchte, kurz bevor sie die Augen öffnete.
Dauernd sah sie diese rothaarigen Zwillinge im Traum, diese beiden hübschen Damen, denen so übel mitgespielt wurde. Nein, das gefiel ihr ganz und gar nicht, und sie war so einsam, daß sie fast durchdrehte.
Die Fangzahnbande hatte ihr Versprechen nicht gehalten, sie südlich von Dallas abzuholen. Zwei Nächte hatte sie am Friedhof gewartet, dann dämmerte ihr, daß irgendwas nicht stimmte. Ohne sie wären sie niemals nach Kalifornien aufgebrochen. Sie wollten den Liveauftritt des Vampirs Lestat in San Francisco erleben und hatten vor, sich jede Menge Zeit für die Reise zu lassen. Nein, irgendwas stimmte da nicht. Sie wußte es.
Selbst als Baby Jenks noch lebte, hatte sie für derlei Dinge eine sagenhafte Spürnase gehabt. Und nun, seit sie tot war, hatte sich dieser Instinkt mindestens ums Zehnfache verfeinert. Sie wußte, daß die Fangzahnbande in der Scheiße saß. Killer und Davis hätten sie sonst niemals sitzenlassen. Killer liebte sie - hatte er gesagt. Warum, zum Teufel, hätte er sie zu dem gemacht, was sie war, wenn nicht aus Liebe? Wenn Killer nicht gewesen wäre, wäre sie in Detroit gestorben.
Sie wäre um ein Haar verblutet. Der Arzt hatte sich zwar redlich abgestrampelt, das Baby
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