Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
Wie alt diese Zeichnungen waren. Mit Sicherheit waren sie in den ersten hundert Jahren unserer Trennung entstanden, höchstwahrscheinlich früher.
Aber wir sollten nie wieder auch nur einen Fetzen eines Beweises dafür finden, daß Mekare lebte oder sich im südamerikanischen Dschungel aufhielt oder sonst irgendwo auf dieser Welt. War sie tief in der Erde begraben, wo die Rufe von Mael und Eric sie nicht mehr erreichen konnten? Schlief sie in der Tiefe irgendeiner Höhle, eine bleiche Statue, die abwesend vor sich hinstarrte, die Hand von zahllosen Staubschichten bedeckt?
Ich darf es mir nicht vorstellen; ich kann es nicht ertragen, daran zu denken. Ich weiß nur, genau wie ihr, daß sie sich erhoben hat. Sie ist aus ihrem langen Schlaf erwacht. Waren es die Lieder des Vampirs Lestat, die sie geweckt haben? Diese Melodien, die über den Äther die entlegensten Winkel der Welt erreicht haben? Waren es die Gedanken der Tausenden von Bluttrinkern, die sie hörte, deutete und beantwortete? War es Marius’ Warnung, daß Die Mutter umgeht?
Vielleicht war es ein dunkles Gefühl, hervorgerufen von all diesen Signalen zusammen - daß die Zeit gekommen ist, den alten Fluch zu erfüllen. Ich kann es nicht sagen. Ich weiß nur, daß sie sich nach Norden bewegt, daß sie ihre Richtung sprunghaft wechselt und daß alle meine Anstrengungen, sie durch Eric und Mael aufzuspüren, fehlgeschlagen sind.
Sie sucht nicht mich. Davon bin ich überzeugt. Es ist Die Mutter, die sie sucht.
Und die Wanderungen Der Mutter bringen sie vom Kurs ab.
Aber sie wird Die Mutter finden! Sie wird sie finden! Ich weiß es; Und das kann nur eine Folge haben. Entweder Mekare wird umkommen, oder Die Mutter wird umkommen und mit Der Mutter wir alle.
Mekare könnte die Erfüllung herbeiführen, und das könnte das Beste für uns alle sein. Aber wenn sie nicht Akascha vernichtet, wenn wir Akascha nicht vernichten, was dann? Wir wissen jetzt, welches Verderben Die Mutter schon anzurichten begonnen hat. Können die Menschen sie aufhalten, wenn sie doch nichts von ihr begreifen? Wenn sie nicht wissen, daß sie zwar ungeheuer stark, aber auch verwundbar ist; daß sie die Kraft hat zu zermalmen und doch auch mit Dolchen durchbohrt werden kann? Daß sie, die fliegen und Gedanken lesen und mit bloßer Willenskraft Feuer entfachen kann, auch selbst verbrannt werden kann? Wie können wir sie aufhalten und uns selbst retten, das ist die Frage. Ich möchte leben, ich habe es immer gewollt. Ich will die Augen nicht vor dieser Welt verschließen. Ich will nicht, daß die zu Schaden kommen, die ich liebe. Ich bemühe mich, eine Möglichkeit zu finden, auch die Jungen zu schützen, die Leben vernichten müssen. Ist das ungerecht von mir? Oder haben wir nicht das Recht, uns wie jede Spezies auf Erden zu wünschen weiterzuleben?
Merkt euch alles, was ich euch über Die Mutter erzählt habe. Was ich über ihre Seele gesagt habe und über das Wesen des Geistes, der in ihr wohnt, sein Herz verschmolzen mit ihrem. Denkt über das Wesen dieses mächtigen Unsichtbaren nach, das alle Bluttrinker belebt hat, die jemals hier wanderten. Wir alle sind, wie Marius es vor so langer Zeit beschrieben hat, Blüten eines einzigen Weinstocks. Untersucht dieses Geheimnis. Denn wenn wir es gründlich untersuchen, können wir vielleicht die Möglichkeit finden, uns selbst zu retten.
Und ich möchte, daß ihr in diesem Zusammenhang über noch etwas anderes nachdenkt, über das vielleicht einzig wirklich Wertvolle, das ich je erfahren habe. In jenen alten Zeiten, als die Geister am Hang des Berges zu meiner Schwester und mir sprachen - welches menschliche Wesen hätte da geglaubt, daß die Geister belanglose Wesen waren? Selbst wir waren Gefangene ihrer Macht und hielten es für unsere Pflicht, die Gaben, über die wir verrügten, zum Wohl unseres Volkes zu nutzen, wie das später auch Akascha glauben sollte.
Und noch über Tausende von Jahren später war der feste Glaube an das Übernatürliche Bestandteil der menschlichen Seele. Es gab Zeiten, zu denen ich gesagt hätte, er sei natürlich, angeboren, ein unentbehrliches Element des menschlichen Wesens, etwas, ohne das die Menschen nicht gedeihen, geschweige denn überleben konnten.
Immer wieder haben wir die Entstehung von Kulturen und Religionen miterlebt, und noch heute kann man sie sehen, die alten Tempel Asiens, die noch immer stehen, und die Kathedralen des christlichen Gottes, in denen
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