Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
zwei Frauen gebaren acht Kinder beiderlei Geschlechts.
Und die Mütter erzählten diesen Kindern die Legenden der Familie; auch die Legende von den Zwillingen erzählten sie - die Legende von den Schwestern, die einst mit den Geistern gesprochen hatten und es regnen lassen konnten und die von dem bösen König und seiner Königin verfolgt worden waren.
Zweihundert Jahre später schrieb ich zum erstenmal alle Namen meiner Familie nieder, denn sie bildete jetzt ein komplettes Dorf, und ich benötigte vier ganze Tontafeln, um festzuhalten, was ich wußte. Dann füllte ich Tafel um Tafel mit den Geschichten über den Anfang, über die Frauen, die zurückgingen bis in DIE ZEIT VOR DEM MOND.
Und obwohl ich manchmal für ein Jahrhundert meine Heimat verließ, um Mekare zu suchen, und die wilden Küsten Nordeuropas durchstreifte, kam ich immer wieder zu meinem Volk und zu meinen geheimen Verstecken in den Bergen und in mein Haus in Jericho zurück und schrieb weiter an der Familiengeschichte, welche Töchter geboren worden waren und die Namen der Töchter, die sie geboren hatten.
Auch über die Söhne schrieb ich in allen Einzelheiten - über ihre Talente, ihre Charaktere, manchmal über ihren Heldenmut -, genau wie ich es bei den Frauen tat. Aber nicht über ihre Nachkommen. Es war unmöglich zu wissen, ob die Kinder der Männer wirklich von meinem und meines Volkes Blut waren. Und deshalb gibt es seitdem eine mütterliche Abstammungslinie.
Doch nie, nie während all dieser Zeit offenbarte ich meiner Familie den bösen Zauber, der mir zugefügt worden war. Ich hatte beschlossen, daß die Familie nie mit diesem Bösen in Berührung kommen sollte.
Tausende von Jahren vergingen, in denen ich die Familie aus der Anonymität heraus beobachtete und nur hin und wieder die lang vergessene Verwandte spielte, um dies oder jenes Dorf oder Familientreffen zu besuchen und die Kinder in den Arm zu nehmen.
Aber in den ersten Jahrhunderten des christlichen Zeitalters beschäftigte ein anderer Plan meine Phantasie. Deshalb erfand ich einen Familienzweig, der alle Aufzeichnungen führte - denn es gab nun schon massenhaft Tafeln und Schriftrollen und sogar gebundene Bücher.
Und in jeder Generation dieses fiktiven Zweiges gab es eine fiktive Frau, die die Aufgabe hatte, die Protokolle zu rühren. Der Name Maharet wurde mit dieser Auszeichnung verliehen; und wenn es die Zeit erforderte, starb die alte Maharet, und die junge Maharet übernahm die Aufgabe.
Und so lebte ich innerhalb der Familie, und die Familie kannte mich, und ich erfuhr die Liebe der Familie. Ich wurde zum Schreiber, Wohltäter, Einiger; die geheimnisvolle, doch vertrauenswürdige Besucherin, die erschien, um Verletzungen zu heilen und Unrecht wiedergutzumachen. Und obwohl mich tausend Leidenschaften beschäftigten, obwohl ich jahrhundertelang in anderen Ländern lebte und neue Sprachen und Gebräuche erlernte und die unendliche Schönheit der Welt und die Kraft des menschlichen Denkvermögens bestaunte, kehrte ich doch immer wieder zur Familie zurück, zu der Familie, die mich kannte und etwas von mir erwartete.
Während die Jahrhunderte, die Jahrhunderte verstrichen, habe ich mich nie unter die Erde begeben wie viele von euch. Ich war nie von Wahnsinn oder Gedächtnisschwund bedroht, wie es bei den Alten üblich war, die oft, gleich Der Mutter und Dem Vater, zu unterirdischen Statuen wurden. Es ist seit jenen frühen Zeiten keine Nacht vergangen, in der ich nicht meine Augen geöffnet, meinen Namen gewußt, die Welt um mich herum wiedererkannt und nach einem eigenen Lebensfaden gegriffen hätte.
Doch es war nicht so, daß kein Wahn mich bedroht hätte. Es war nicht so, daß nicht manchmal Müdigkeit mich überwältigt hätte. Es war nicht so, daß kein Gram mich erbittert, kein Rätsel mich verwirrt oder daß ich keine Schmerzen gekannt hätte.
Dennoch: ich mußte trotz allem die Aufzeichnungen über meine Familie bewahren; ich mußte für meine eigene Nachkommenschart sorgen und sie in der Welt leiten. Und deshalb hielt ich mich an die Familie, als wäre sie der Lebensquell an sich, selbst in den finsteren Zeiten, wenn mir alles menschliche Leben ungeheuer und unerträglich erschien und die Veränderungen der Welt unbegreiflich.
Und die Familie lehrte mich die Lebensweisen und die Vorlieben jedes neuen Zeitalters; die Familie nahm mich in fremde Länder mit, in die ich mich allein vielleicht nie gewagt hätte;
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